LAG Rheinland-Pfalz: Arbeitgeber muss vor Sozialauswahl nach Unterhaltspflichten fragen

Der Arbeitgeber darf sich hinsichtlich der tatsächlich bestehenden gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers nicht auf die Angaben in der Lohnsteuerkarte verlassen. Er ist zur Vermeidung von Fehlern bei Durchführung der Sozialauswahl verpflichtet, die vergleichbaren Arbeitnehmer nach bestehenden Unterhaltsverpflichtungen zu befragen.

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des bei der Beklagten als Gabelstaplerfahrer beschäftigt Klägers. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis, wobei sie gegenüber weiteren 19 Arbeitnehmern, die bei ihr als Gabelstaplerfahrer tätig waren, ordentliche Kündigungen aussprach. Bei Durchführung der Sozialauswahl richtete sich die Beklagte nach einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Punkteschema, in welchem das Lebensalter, die Unterhaltsverpflichtungen, die Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie eine etwaige Schwerbehinderung des Arbeitnehmers Berücksichtigung finden.

Obwohl der Kläger zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet war, enthielt seine Lohnsteuerkarte keine entsprechenden Eintragungen. In Anwendung dieses Punkteschemas brachte die Beklagte hinsichtlich des Kriteriums „Unterhaltsberechtigte“ keine Punkte zu Gunsten des Klägers in Ansatz. Bei richtiger Bewertung wäre die Sozialauswahl zugunsten des Klägers ausgegangen.

Das LAG hatte somit zu entscheiden, ob sich der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl auf die Daten der Lohnsteuerkarte verlassen durfte.

Das LAG ist der Auffassung, der Arbeitgeber könne sich nicht darauf berufen, die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers seien ihm bei Kündigungsausspruch unbekannt gewesen, da diese nicht aus den Eintragungen auf der ihm vorgelegten Lohnsteuerkarte ersichtlich seien. Der Arbeitgeber dürfe sich nämlich hinsichtlich der tatsächlich zu erbringenden gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers nicht auf die Angaben in der Lohnsteuerkarte verlassen, da diese oftmals nicht die tatsächlichen Verhältnisse richtig wiedergäben. Dies gelte beispielsweise für Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehepartners, die auf der Lohnsteuerkarte nicht erkennbar seien. Der Arbeitgeber sei daher zur Vermeidung von Fehlern bei Durchführung der Sozialauswahl gehalten, die vergleichbaren Arbeitnehmer nach bestehenden Unterhaltsverpflichtungen zu befragen.

(LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. 7. 2006 – 10 Sa 121/06)

Praxistipp:

  • Sachlich ist die Entscheidung des LAG richtig, weil es hinsichtlich der Sozialauswahl auf die tatsächlichen Umstände ankommt, und nicht auf die vom Arbeitgeber vermuteten Tatsachen.
  • In gleicher Weise hatten zuvor bereits die Landesarbeitsgerichte Rheinland-Pfalz, Hamm und Düsseldorf entschieden.
  • Arbeitgeber müssen trotz des erhöhten bürokratischen Aufwands die für Kündigungen in Betracht kommenden Arbeitnehmer am besten schriftlich nach bestehenden gesetzlichen Unterhaltspflichten fragen.