BAG: Schwerbehindertenzusatzurlaub ist bei Krankheit bis Beschäftigungsende abzugelten
Der vierwöchige gesetzliche Mindesturlaub muss bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach der neueren Rechtsprechung des Senats auch dann finanziell abgegolten werden, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig krank ist. Der Anspruch auf Abgeltung des Schwerbehindertenzusatzurlaubs besteht bei Arbeitsunfähigkeit ebenso wie der Anspruch auf Abgeltung des Mindesturlaubs weiter.
Die Tarifvertragsparteien können dagegen bestimmen, dass der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende tarifliche Urlaubsabgeltungsanspruch erlischt, wenn der Urlaubsanspruch wegen der Krankheit des Arbeitnehmers nicht erfüllt werden kann.
Der schwerbehinderte Kläger war seit 1971 im Außendienst für die Beklagte tätig. Für das Arbeitsverhältnis galt der Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Der Kläger war von Anfang September 2004 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 30. September 2005 wegen eines schweren Bandscheibenleidens arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2005 verlangte er erfolglos, ihm den Urlaub für das Jahr 2004 zu gewähren.
Der Kläger hat mit seiner im November 2005 zugestellten Klage Ansprüche auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs, des Schwerbehindertenzusatzurlaubs und des tariflichen Mehrurlaubs für die Jahre 2004 und 2005 verfolgt. Die Parteien haben in der Revision nur noch über die Abgeltung des Schwerbehindertenzusatzurlaubs und des übergesetzlichen Tarifurlaubs gestritten.
Die Beklagte hat die Verurteilung zur Abgeltung der Mindesturlaubsansprüche in zweiter Instanz hingenommen.
Die Klage auf Abgeltung des Schwerbehindertenzusatzurlaubs hatte im Unterschied zu der Klage auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs Erfolg. Der Anspruch auf Schwerbehindertenzusatzurlaub teilt das rechtliche Schicksal des Mindesturlaubsanspruchs. Beide Ansprüche sind am Ende des Arbeitsverhältnisses auch dann abzugelten, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Die Ansprüche auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs gingen demgegenüber nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien am Ende des tariflichen Übertragungszeitraums unter.
(BAG, Pressemitteilung, Urteil vom 23. März 2010 – 9 AZR 128/09)
Praxistipp:
- Gesetzlicher Urlaubsanspruch verfällt trotz Krankheit bis zum Beschäftigungsende nicht. Er ist abzugelten. Aufgrund der zwischenzeitlich klaren Rechtsprechung des BAG wurde dies von den Parteien nicht mehr thematisiert.
- Uneinheitlich war bisher die Rechtsprechung zum Verfall des Schwerbehindertenzusatzurlaubs. Das ArbG Berlin-Brandenburg bejahte den Verfall, das LAG Düsseldorf als Vorinstanz zu dieser BAG-Entscheidung verneinte den Verfall.
- Mit welchem Argument das BAG den Verfall des Schwerbehindertenzusatzurlaubs verneint bleibt abzuwarten.
- Jedoch ist dieses Ergebnis sicherlich richtig. Es ist nicht einzusehen, dass einerseits kranken Arbeitnehmern der gesetzliche Mindesturlaub verbleiben muss, andererseits schwerbehinderten Arbeitnehmern der gesetzlich verbriefte Zusatzurlaub verfallen soll.
- Der Schwerbehindertenzusatzurlaub liegt der Gedanke zugrunde, das ein schwerbehinderter Arbeitnehmer seine Arbeitskraft schneller als ein gesunder verbraucht.
- Tariflicher Zusatzurlaub dagegen unterliegt hinsichtlich des Verfalls der Disposition der Tarifvertragsparteien.