BAG: Verlagerung eines Betriebsteils ins grenznahe Ausland
Ist für einen Arbeitsvertrag deutsches Recht maßgeblich, so ist die Frage, ob ein Betriebsübergang erfolgt, nach § 613a BGB zu beurteilen. Das gilt auch dann, wenn ein Betriebsteil in die Schweiz verlagert wird.
Der Sachverhalt
Der Arbeitgeber ist eine in Südbaden ansässige Konzerntochter, deren Mutter auch in der Schweiz Unternehmen hat. Zum 1. Januar 2009 wurde ein Betriebsteil in die Schweiz verlegt. Dabei wurden die wesentlichen materiellen und immateriellen Produktionsmittel zu einem weniger als 60 km entfernten neuen Standort gebracht. Dem Kläger, einem Vertriebsingenieur, wurden vom Arbeitgeber zwei Kündigungen wegen Betriebsstilllegung ausgesprochen. Das Angebot eines neuen Arbeitsvertrages mit dem Schweizer Unternehmen lehnte er ab.
Die Entscheidung
Wie schon vor dem Landesarbeitsgericht hatte die Kündigungsschutzklage auch vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Arbeitgeber kann sich zur Begründung der Kündigungen nicht auf eine Betriebsstilllegung berufen, da der Betriebsteil auf das Schweizer Unternehmen übertragen wurde. Dies stellt einen nach deutschem Recht zu beurteilenden Betriebsübergang dar, der eine Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigungen durch dringende betriebliche Gründe ausschließt. Welche Ansprüche der Kläger gegen das Schweizer Unternehmen hat, war vorliegend nicht zu entscheiden.
(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. Mai 2011 – 8 AZR 37/10)
Praxistipp:
- Eine Betriebsstilllegung kann einen dringenden betrieblichen Grund für die sozial gerechtfertigte Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darstellen.
- Die Betriebsstilllegung ist abzugrenzen vom Betriebsübergang, anlässlich dessen eine Kündigung nicht ausgesprochen werden darf.
- Bei der Betriebsstilllegung sind die Arbeitnehmer durch Interessenausgleich und Sozialplan geschützt, beim Betriebsübergang durch den individualrechtlichen Bestandsschutz des § 613a BGB.
- Im vorliegenden Fall läge unproblematisch ein Betriebsübergang vor, wenn die Betriebsmittel auf ein anderes Unternehmen in Deutschland übertragen worden wären. Die Besonderheit liegt hier aber in der grenzüberschreitenden Übertragung der Betriebsmittel.
- Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits früher entschieden, dass es für die Anwendung der Regeln zum Betriebsübergang darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer einen deutschen Arbeitsvertrag hat, nicht jedoch, in welches Land der Betrieb übertragen wird (BAG, Urteil vom 20.04.1989). Insofern setzt es seine Rechtsprechung hier fort.
- Allerdings hatte das Bundesarbeitsgericht in seiner älteren Entscheidung auch festgestellt, dass eine betriebsbedingte Kündigung des Betriebsveräußerers dann sozial gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer bereits vor der Betriebsveräußerung mitteilt, er wolle bei dem ausländischen Erwerber nicht tätig sein und der Veräußerer hat keine weitere Beschäftigungsmöglichkeit.
- Aus der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts geht indes nicht hervor, ob die Ablehnung des ausländischen Arbeitsplatzes bereits vor oder erst nach der Betriebsveräußerung erfolgte. Die Begründung der Entscheidung bleibt somit abzuwarten.