BAG: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei Freistellung des Arbeitnehmers

Die Auslegung der Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien, dass ein Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Bezüge unwiderruflich von der Arbeit freigestellt wird, führt in der Regel nur dazu, dass die Arbeitspflicht entfällt. Ein Anspruch auf Arbeitsvergütung über die gesetzlichen Grundlagen hinaus wird hierdurch nicht begründet.

Der Sachverhalt

Die Klägerin machte zunächst die Unwirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung geltend. Daraufhin schlossen die Parteien am 16.12.2003 einen gerichtlichen Vergleich mit folgendem Inhalt:

„Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird aufgrund fristgemäßer, arbeitgeberseitiger Kündigung aus betriebsbedingten Gründen mit dem 31.03.2004 sein Ende finden. Bis zu diesem Zeitpunkt wird das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abgerechnet, wobei die Klägerin ab 15.12.2003 unwiderruflich unter Fortzahlung der Bezüge und unter Anrechnung auf bestehende Urlaubsansprüche von der Arbeitsleistung freigestellt wird.“

Im Zeitpunkt des Vergleichs war die Klägerin bereits mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete für Dezember 2003 und für Januar 2004 lediglich eine anteilige Vergütung.

Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin die Zahlung dieser Vergütungen. Nach ihrer Auffassung ergebe sich die Zahlungspflicht bereits aus dem Prozessvergleich. Außerdem habe sie nach ihrer Behauptung ihre Arbeitsfähigkeit am 15. Dezember 2003 wieder zurückerlangt. Ein ärztliches Attest, das sie zum Beweis ihrer Behauptung vorlegte, wurde allerdings erst mit Datum vom 26.01.2004 ausgestellt.

Die Beklagte sah darin ein bloßes Gefälligkeitsattest und machte geltend, dass dem Vergleich nicht zu entnehmen sei, dass eine Entgeltzahlung unabhängig von der Arbeitsfähigkeit der Klägerin erfolgen solle.

Die Entscheidung

Das BAG ist den Entscheidungen der Vorinstanzen nicht gefolgt und hat die Sache an das LAG zurück verwiesen.

Es hat dabei festgestellt, dass noch nicht abschließend entschieden werden kann, ob die Klägerin von der Beklagten für die Monate Dezember 2003 und Januar 2004 Entgeltzahlungen verlangen kann.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich ein solcher Anspruch nicht schon unmittelbar aus dem gerichtlichen Vergleich.

Vereinbaren die Parteien, dass ein Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Vergütung unwiderruflich freigestellt wird, führt die Auslegung dieser Vereinbarung in der Regel nur dazu, dass die Arbeitspflicht entfällt, ohne dass ein Anspruch auf Vergütung über die gesetzlichen Grundlagen hinaus begründet wird. Daher gelten die Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes, wenn der freigestellte Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt.

Bei einer Arbeitsunfähigkeit von über sechs Wochen Dauer entfällt somit der Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Die Schaffung einer darüber hinausgehenden Zahlungspflicht des Arbeitgebers bedarf einer ausdrücklichen Regelung, an der es im vorliegenden Fall fehlt. Die Beklagte sollte lediglich ohne Rücksicht auf die Freistellung „ordnungsgemäß abrechnen“. Danach schuldet sie Arbeitsvergütung nur bei Arbeitsfähigkeit der Klägerin oder nach den gesetzlichen Regelungen über die Entgeltfortzahlung.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 EntgeltfortzahlungsG ist der Arbeitgeber grundsätzlich nur für die Dauer von sechs Wochen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet.

Da es hinsichtlich der streitigen Arbeitsfähigkeit der Klägerin und deren Ursachen noch weiterer Tatsachenfeststellungen durch das Landgericht bedarf, war die Sache noch nicht entscheidungsreif und wurde an das LAG zurückverwiesen.

(BAG Urteil vom 23.01.2008, 5 AZR 393/07)

Praxistipp:

  • Die Möglichkeit einer Freistellung des Arbeitnehmers unter Fortzahlung der Vergütung im Falle einer arbeitgeberseitigen Kündigung für die Dauer der Kündigungsfrist sollte grundsätzlich bereits im Arbeitsvertrag vereinbart sein.
  • Andernfalls kann die einseitige Freistellung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber aufgrund des sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Rechts auf Beschäftigung zu Problemen führen.
  • Eine Anrechnung auf den restlichen Urlaubsanspruch ist grundsätzlich nur bei einer unwiderruflichen Freistellung möglich.
  • Im Fall einer widerruflichen Freistellung ist aufgrund der Möglichkeit der jederzeitigen Rückbeorderung des Arbeitnehmers an den Arbeitsplatz die Erfüllung des Urlaubszwecks, Freizeit in Anspruch nehmen zu können, nicht gegeben.
  • Neben den arbeitsrechtlichen Konsequenzen müssen allerdings immer auch die sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen einer Freistellung bedacht werden.
  • Dabei besteht keine umfassende Aufklärungspflicht des Arbeitsgebers. Ausreichend ist der Hinweis auf eventuelle Risiken und die Aufforderung, sich fachkundigen Rat einzuholen.
  • Bei unwiderruflicher Freistellung endet das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich mit dem letzten Arbeitstag vor der Freistellung.
  • Sinnvoll ist daher eine Kombination aus unwiderruflicher Freistellung (mit Urlaubsanrechnung) und widerruflicher Freistellung (wegen Fortdauer des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses).