BAG: Zweifelhafte Entscheidung zu Sozialplanabfindung und Altersstufen

Arbeitgeber und Betriebsrat dürfen bei der Bemessung der Abfindungshöhe in einem Sozialplan gemäß § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG Altersstufen bilden, weil ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt typischerweise größere Schwierigkeiten haben eine Anschlussbeschäftigung zu finden als jüngere.

Der Sachverhalt

Die konkrete Ausgestaltung der Altersstufen im Sozialplan unterliegt nach § 10 Satz 2 AGG einer Verhältnismäßigkeitsprüfung: Sie muss geeignet und erforderlich sein, das von § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG verfolgte Ziel tatsächlich zu fördern und darf die Interessen der benachteiligten Altersgruppen nicht unangemessen vernachlässigen. Das ist mit dem Verbot der Altersdiskriminierung im Recht der Europäischen Union vereinbar.

Nach einem bei der Beklagten geltenden Sozialplan bestimmte sich die Höhe der Abfindung nach einem Faktor, der mit dem Produkt aus Betriebszugehörigkeit und Bruttomonatsverdienst zu multiplizieren war. Der Faktor betrug bis zum 29. Lebensjahr des Mitarbeiters 80 %, bis zum 39. Lebensjahr 90 % und ab dem 40. Lebensjahr 100 %. Die Beklagte zahlte der zum Zeitpunkt der Kündigung 38jährigen Klägerin eine mit dem Faktor von 90 % errechnete Abfindung in Höhe von 31.199,02 Euro. Mit ihrer Klage verlangt sie die Differenz zur ungekürzten Abfindung.

Die Entscheidung

Ihre Klage blieb vor dem Ersten Senat –  wie auch in den Vorinstanzen – ohne Erfolg. Die in dem Sozialplan gebildeten Altersstufen sind nicht zu beanstanden. Die Betriebsparteien durften davon ausgehen, dass die Arbeitsmarktchancen der über 40jährigen Mitarbeiter typischerweise schlechter sind als die der 30 bis 39jährigen. Die vereinbarten Abschläge für jüngere Arbeitnehmer sind nicht unangemessen.

(Pressemitteilung Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. April 2011 – 1 AZR 764/09)

Praxistipp:

  • Die vom Bundesarbeitsgericht jetzt ausdrücklich zugelassene Bildung von Altersstufen bei der Berechnung von Sozialplanabfindungen ist sehr kritisch zu sehen.
  • Zwar soll der Sozialplan wirtschaftliche Nachteile, die aus einer Betriebsänderung entstehen, ausgleichen oder mildern, darf also nach der Schwere der auftretenden Belastung differenzieren.
  • Damit sind gestaffelte Abfindungszahlungen bei altersabhängigen Arbeitsmarktchancen zulässig.
  • Einziges Kriterium für die alterabhängige Differenzierung ist somit die Situation auf dem Arbeitsmarkt.
  • Unzulässig ist eine sich linear oder auch in Altergruppen erhöhende Abfindungszahlung, ohne die Arbeitsmarktchancen zu berücksichtigen.
  • In dem hier entschiedenen Fall geht das Bundesarbeitsgericht ohne weiteres davon aus, dass eine 38-jährige bessere Arbeitsmarkchancen hat, als eine 40-jährige. Dies sei „typischerweise“ so.
  • Es bleibt abzuwarten, mit welcher Begründung das Gericht diesen angeblichen Erfahrungssatz untermauern will.
  • Zweifelhaft ist diese Entscheidung deshalb, weil neben dem Alter vor allem der lokale Arbeitsmarkt, die Branche, die Ausbildung und die Berufserfahrung des Arbeitnehmers eine entscheidende Rolle spielen.
  • Vermutlich ist in diesem Fall noch nicht das letzte Wort gesprochen. Möglicherweise wird der Europäische Gerichtshof damit befasst werden.