BAG: Unwirksamkeit einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung eines Betriebsratsmitglieds trotz Auslauffrist

Liegen bei einem Betriebsratsmitglied die Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung nicht vor, so ist auch eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ausgeschlossen.

Der Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten auf verhaltensbedingte Gründe gestützten außerordentlichen Kündigung. Die Klägerin war bei der Beklagten als Bürokauffrau tätig und gleichzeitig Mitglied des Betriebsrats.

Zu den Aufgaben der Klägerin gehörte neben dem Empfang von Patienten auch die Verwaltung zweier Kassen. Wegen fehlerhafter Kassenführung und mangelnder Freundlichkeit gegenüber Patienten wurde die Klägerin von der Beklagten mehrmals abgemahnt. Schließlich sprach die Beklagte nach Zustimmung des Betriebsrats am 27.05.2005 eine außerordentliche Kündigung zum 31.05.2005 aus. Gegen diese Kündigung wandte sich die Klägerin mit einer Kündigungsschutzklage.

Die Entscheidung

Die Kündigungsschutzklage hatte in allen drei Instanzen Erfolg. Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch mit Ablauf einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist aufgelöst.

Zunächst stellt das BAG fest, dass die Voraussetzungen einer außerordentlichen fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB nicht vorlägen.

Zwar kann, wie hier vorliegend, auch die erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein. Es kommt jedoch darauf an, ob dem Kündigenden angesichts der Vertragsverstöße die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann.

Im vorliegenden Fall war die Klägerin als Mitglied des Betriebsrats ordentlich unkündbar. In diesem Fall ist für eine außerordentliche fristlose Kündigung maßgeblich, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Dieser Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung des BAG nicht nur bei individuell oder tarifvertraglich vereinbartem Ausschluss der ordentlichen Kündigung, sondern auch bei Arbeitnehmern, denen gegenüber die ordentliche Kündigung nach § 15 KSchG ausgeschlossen ist.

Die Argumentation des Arbeitgebers ging in diesem Fall dahin, dass es im Rahmen des § 15 KSchG nicht auf den Zeitpunkt des Ablaufs der fiktiven Kündigungsfrist, sondern auf den Zeitpunkt ankäme, in dem der Sonderkündigungsschutz voraussichtlich ende. Nach dieser Auffassung wäre eine außerordentliche Kündigung dann möglich, wenn es dem Arbeitgeber nicht zumutbar wäre, das Mitglied des Betriebsrates bis ein Jahr nach Beendigung der Amtszeit weiter zu beschäftigen. Würde man dieser Argumentation folgen, wäre naturgemäß die Zumutbarkeitsschwelle für den Arbeitgeber niedriger als wenn für die Frage der zumutbaren Weiterbeschäftigung lediglich die fiktive ordentliche Kündigungsfrist angesetzt würde.

Genau dieser Maßstab ist nach Auffassung des BAG anzusetzen, weil andernfalls es zu einer Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds kommen könne. Aufgrund des langen Sonderkündigungsschutzes gegenüber dem Betriebsratsmitglied könnte der Arbeitgeber zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt sein, während er bei einem anderen Arbeitnehmer bei im Übrigen vergleichbarem Sachverhalt nur zu einer ordentlichen Kündigung berechtigt wäre.

Nach der Entscheidung des BAG kommt auch eine Umdeutung der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung in eine außerordentliche Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigung entsprechenden Auslauffrist nicht in Betracht. Denn eine solche Kündigung wäre unwirksam.

Zwar hat das BAG in der Vergangenheit eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist, die im Ergebnis einer ordentlichen Kündigung gleichkommt, gegenüber Betriebsratsmitgliedern bei Vorliegen betriebsbedingter Gründe anerkannt. Nach Auffassung des BAG kann diese Rechtsprechung aber nicht auf eine verhaltensbedingte Kündigung übertragen werden. Andernfalls würden die kündigungsrechtlichen Grenzen zwischen dem kündbaren und dem nach § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmer verwischt werden.

Nach Auffassung des BAG ist eine Differenzierung zwischen betriebsbedingter und verhaltensbedingter Kündigung zudem deshalb schon gerechtfertigt, weil das Gesetz bereits durch § 15 Abs. 4, 5 KSchG zeige, dass der Sonderkündigungsschutz bei betriebsbedingten Gründen einschränkungsbedürftig sei.

(BAG, Urteil vom 17.01.2008 – 2 AZR 821/06)

Praxistipp:

  • Die Entscheidung des BAG betrifft erstmals die Frage der Zulässigkeit einer verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist bei gleichzeitiger nicht zulässiger außerordentlicher verhaltensbedingter Kündigung.
  • In der Literatur wurde diese Frage bislang kontrovers diskutiert. Die Befürworter einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist argumentieren mit einer andernfalls stattfindenden Bevorzugung von Betriebsräten.
  • Die Gegenmeinung begründet die Unzulässigkeit einer verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist mit einer Gefahr der Umgehung des § 15 KSchG. Dieser Auffassung tritt nun das BAG bei.
  • Im Ergebnis muss nun geprüft werden, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist. Sollte dies der Fall sein, so ist der Arbeitgeber im Ergebnis dazu verpflichtet, das Betriebsratsmitglied bis zum auf das Ende des Mandats folgenden nachwirkenden Kündigungsschutzes weiter zu beschäftigen, sofern zu diesem Zeitpunkt nicht anderweitiger Kündigungsschutz eine Kündigung unmöglich macht.