BAG: Widerspruchsrecht bei Betriebsübergang ist nach Aufhebungsvertrag mit Betriebserwerber verwirkt
Eine nicht ordnungsgemäße Unterrichtung des Arbeitnehmers über einen beabsichtigten Betriebsübergang setzt die einmonatige Frist für einen Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) nicht in Lauf. Das Recht zum Widerspruch kann allerdings verwirken.
Der Sachverhalt
Der Kläger war bei der S. AG im Geschäftsbereich „Com MD (Mobile Devices)“ als Konstrukteur beschäftigt. Diesen Geschäftsbereich verkaufte die S. AG an die B. OHG. Alle Vermögensgegenstände wurden auf die OHG übertragen.
Die S. AG informierte den Kläger mit Schreiben vom 29. August 2005 über den Betriebsübergang ab 1. Oktober 2005.
Am 9. August 2006 schloss der Kläger mit der Betriebserwerberin einen Aufhebungsvertrag, dem zufolge sein Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 2006 gegen Zahlung einer Abfindung enden sollte.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2006 widersprach er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die B. OHG unter Berufung auf die Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung.
Am 29. September 2006 hatte die B. OHG Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Dieses wurde am 1. Januar 2007 eröffnet.
Mit seiner Klage macht der Kläger den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit der S. AG geltend und verlangt Weiterbeschäftigung sowie Vergütung. Er ist der Auffassung, er habe dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die B. OHG noch wirksam widersprechen können, weil er nicht ausreichend, insbesondere nicht zutreffend über die wirtschaftliche Situation der Betriebserwerberin unterrichtet worden sei.
Die S. AG meint, ein rechtzeitiger Widerspruch liege nicht vor. Außerdem habe der Kläger sein Widerspruchsrecht verwirkt.
Die Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat auf die Revision der Beklagten die Klage abgewiesen.
Da die Unterrichtung über den beabsichtigten Betriebsübergang auf die B. OHG nicht ordnungsgemäß war, wurde die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht in Gang gesetzt. Der Kläger hat sein Widerspruchsrecht jedoch verwirkt. Durch Abschluss des Aufhebungsvertrages mit der Betriebserwerberin hatte der Kläger über sein Arbeitsverhältnis disponiert. Auf diesen Umstand kann sich die S. AG berufen, wobei es nicht darauf ankommt, wann sie vom Abschluss des Aufhebungsvertrages Kenntnis erlangt hat.
(Pressemitteilung BAG, Urteil vom 23. Juli 2009 – 8 AZR 357/08)
Praxistipp:
- Bei einem Betriebsübergang können betroffene Mitarbeiter hiergegen innerhalb von vier Wochen nach Zugang des Unterrichtungsschreibens widersprechen, § 613 a Abs. 6 BGB
- Die Widerspruchsfrist beginnt erst mit vollständiger Information im Sinne dieser Vorschrift zu laufen.
- Das BAG hat in der Vergangenheit die Anforderungen an das Unterrichtungsschreiben des Arbeitgebers sehr hoch gesetzt und damit den Interessen der Arbeitnehmer einen deutlichen Vorrang eingeräumt.
- Gibt der Arbeitgeber in seinem Unterrichtungsschreiben beispielsweise nicht die Anschrift des Erwerbers an, so ist es unvollständig. Es beginnt die Vierwochenfrist nicht zu laufen.
- Mit dem vorliegenden Urteil nimmt das BAG eine Korrektur zugunsten der Arbeitgeber vor. Das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers besteht mangels Fristbeginn nicht für unbegrenzte Zeit. Es kann verwirken.
- Für eine Verwirkung müssen zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: Das Zeitmoment und das Umstandsmoment.
- Das Zeitmoment ist erfüllt, wenn ein nicht unerheblicher Zeitraum verstrichen ist, wie hier mehr als ein Jahr.
- Das Umstandsmoment ist erfüllt, wenn der alte Arbeitgeber aufgrund von besonderen Umständen davon ausgehen durfte, dass der Arbeitnehmer keinen Widerspruch mehr einlegen werde.
- Dieser besondere Umstand ist hier der zwischen Arbeitnehmer und Betriebserwerber geschlossene Aufhebungsvertrag. Damit hat der Arbeitnehmer über sein Arbeitsverhältnis disponiert und es beendet.
- Der alte Arbeitgeber muss hiervon Kenntnis erlangen. Nach der Rechtsprechung des BAG wird die Kenntnis der Betriebserwerbers allerdings dem alten Arbeitgeber zugerechnet, so dass sich Letzterer darauf berufen kann.
- Noch ungeklärt ist die Frage, ob sich der alte Arbeitgeber auch auf die Kenntnis des Insolvenzverwalters des Betriebserwerbers berufen kann. Dies war hier nicht zu entscheiden, weil der Aufhebungsvertrag bereits vor dem Insolvenzantrag geschlossen wurde.
- Weiter ungeklärt ist die Frage, ob der Übergang vom Betriebserwerber in eine Beschäftigungsgesellschaft durch einen sog. dreiseitigen Vertrag ein Umstandsmoment im Sinne der Verwirkung darstellen kann.