BSG: Anspruchsvoraussetzungen für Elterngeld an Ausländer mit bestimmten Aufenthaltserlaubnissen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich
Nach Auffassung des 10. Senats des Bundessozialgerichts kann ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer nur und erst dann Elterngeld beanspruchen, wenn er einen Aufenthaltstitel besitzt, der entweder nach dem Gesetz bereits selbst zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder dem eine ausdrückliche Nebenbestimmung beigefügt ist oder war, die eine solche Erlaubnis enthält.
Im Übrigen hält es der Senat für unvereinbar mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 Grundgesetz, dass nach § 1 Abs 7 Nr 2 Buchstabe c in Verbindung mit Nr 3 Buchstabe b Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Ausländern, denen eine Aufenthaltserlaubnis wegen eines Krieges in ihrem Heimatland (§ 23 Abs 1 Aufenthaltsgesetz), wegen eines Härtefalls (§ 23a Aufenthaltsgesetz), zur Gewährung vorübergehenden Schutzes (§ 24 Aufenthaltsgesetz) oder aus humanitären Gründen (§ 25 Abs 3 bis 5 Aufenthaltsgesetz) erteilt worden ist, ein Anspruch auf Elterngeld nur dann zusteht, wenn sie in Deutschland berechtigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen.
Über die Anwendung dieser Vorschriften hat der 10. Senat des Bundessozialgerichts am 30. September 2010 in einem Revisionsverfahren entschieden, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Der Sachverhalt
Die Klägerin reiste 2002 aus dem Kongo nach Deutschland ein. Ihr Asylantrag war erfolglos. Seit Dezember 2005 besitzt sie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 3 Aufenthaltsgesetz, die zunächst mit dem Zusatz „Erwerbstätigkeit nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet“ versehen war und am 20. Juli 2007 verlängert wurde. Auf einen im Dezember 2007 gestellten Antrag der Klägerin wurde die Nebenbestimmung am 29. Januar 2008 dahin geändert, dass seit Antragstellung eine Beschäftigung jeder Art erlaubt ist. Durch eine Entscheidung der Bezirksregierung Köln wurde die Rückwirkung dieser Erlaubnis auf den 20. Juli 2007 vorverlegt.
Nach ablehnender Verwaltungsentscheidung blieb das Begehren der Klägerin, ihr für die Zeit vom 22. August 2007 bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats ihrer am 9. März 2007 geborenen Zwillinge Elterngeld zu gewähren, sowohl vor dem Sozialgericht als auch vor dem Landessozialgericht ohne Erfolg.
Die Entscheidung
Der 10. Senat hat die Revision der Klägerin durch Teilurteil zurückgewiesen, soweit sie die Gewährung von Elterngeld bis zur Vollendung des 11. Lebensmonats der Zwillinge betrifft. Bis zum 28. Januar 2008 war die Klägerin nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Die rückwirkende Erteilung einer solchen Erlaubnis ist insoweit unerheblich. Wegen des im Elterngeldrecht geltenden Lebensmonatsprinzips scheidet damit ein Anspruch der Klägerin auf Elterngeld bis zum 8. Februar 2008 (Vollendung des 11. Lebensmonats der Zwillinge) aus.
Für den 12. bis 14. Lebensmonat der Kinder hängen die Elterngeldansprüche der Klägerin davon ab, ob die weiteren Regelungen des § 1 Abs 7 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Da der 10. Senat von der Verfassungswidrigkeit eines Teiles der insoweit einschlägigen Bestimmungen überzeugt ist, holt er dazu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein. Zwar darf der Gesetzgeber die Gewährung von Elterngeld an nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer davon abhängig machen, dass sich diese voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten. Auch kann eine Integration in den inländischen Arbeitsmarkt eine solche Prognose begründen. Der Gesetzgeber hat jedoch jedenfalls insoweit sachwidrige Kriterien aufgestellt, als er einen aktuellen, eng umschriebenen Arbeitsmarktbezug während der Erziehungszeit fordert und zudem nur auf denjenigen abstellt, der Elterngeld beansprucht, also zB nicht eine entsprechende Integration seines Ehegatten ausreichen lässt.
(Quelle: Pressemitteilung BSG, Urteil vom 30.09.2010 – Az.: B 10 EG 9/09 R)