Folgen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Fristenparität

Vereinbaren die Parteien unter Verstoß gegen § 622 Abs. 6 BGB für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer eine längere Frist als für die Kündigung durch den Arbeitgeber, muss auch der Arbeitgeber bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses die für den Arbeitnehmer vereinbarte längere Kündigungsfrist einhalten.

In diesem Fall wurden im Arbeitsvertrag zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zwei unterschiedlich lange Kündigungsfristen vereinbart. Bei einer Kündigung durch den Arbeitnehmer sollte eine Frist von sechs Wochen zum Quartalsende eingehalten werden. Bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber wurde auf einen Tarifvertrag verwiesen, der eine Kündigungsfrist von vier Wochen zur Monatsmitte oder zum Monatsende vorsah. Nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber stritten sich die Parteien nun darum, ob der Arbeitslohn bis zum Ende der kurzen tariflichen Kündigungsfrist oder bis zum Ende der langen vertraglichen arbeitnehmerseitigen Kündigungsfrist zu zahlen war.

Im Kern hatte das Bundesarbeitsgericht hier darüber zu entscheiden, welche Rechtsfolge eintritt, wenn entgegen § 622 Abs. 6 BGB unzulässigerweise zu Lasten des Arbeitnehmers eine längere Kündigungsfrist vereinbart wird, als für den Arbeitgeber. Eine solche Rechtsfolge ist in § 622 Abs. 6 BGB nicht bestimmt. Es liegt hier also eine Gesetzeslücke vor.

Der Arbeitgeber war der Auffassung, dass die vereinbarte unwirksame kurze Kündigungsfrist aus dem in Bezug genommenen Tarifvertrag durch die gültige gesetzliche Kündigungsfrist zu ersetzen sei.

Dem tritt das BAG mit dem Argument entgegen, § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB sei analog anzuwenden, mit der Folge, dass der Arbeitgeber anstatt der vereinbarten kurzen die für den Arbeitnehmer geltende lange Kündigungsfrist einzuhalten habe.

§ 89 Abs. 2 Satz 2 HGB sieht für den Fall der Vereinbarung einer kürzeren Frist für den Unternehmer die Geltung der für den Handelsvertreter vereinbarten Kündigungsfrist vor. Im Falle des Verhältnisses zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter ist also eine gesetzliche Rechtsfolge bestimmt, falls hier gegen den Grundsatz der Fristenparität verstoßen wurde. Eine solche Regelung fehlt im Verhältnis zwischen dem Unternehmer und dem Arbeitnehmer.

Das Bundesarbeitsgericht sieht keine Hindernisse für eine analoge Anwendung dieser handelsrechtlichen Vorschrift. Nach seiner Auffassung liegt sowohl eine Gesetzeslücke als auch mit § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB ein analogiefähiger gesetzlicher Tatbestand vor.

Das BAG führt aus, dass mit der gesetzlichen Regelung des § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB der Grundsatz der Fristenparität im Handelsrecht zu Lasten des Unternehmers durchgesetzt wird. Die Sachverhalte – hier Handelsvertreter, dort Arbeitnehmer, die beide an eine längere Kündigungsfrist als ihre Vertragspartner gebunden sind – gleichen sich. In beiden Fällen wird die Kündigungsfrist zu Lasten der vermeintlich „schwächeren“ Vertragspartei verändert.

Es sind auch keine relevanten Unterschiede zwischen einem Handelsvertreter einerseits und einem persönlich abhängigen Arbeitnehmer andererseits erkennbar, die im Hinblick auf die möglichen Folgen einer solchen unwirksamen Vertragsgestaltung eine Differenzierung tragen und gegen eine Übertragung des Regelungsmodells aus § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB sprechen.

Nach Auffassung des BAG gibt es keinen einleuchtenden sachlichen Grund warum bei einer unwirksamen vertraglichen Regelung gerade der Handelsvertreter stärker geschützt werden sollte als der Arbeitnehmer (BAG, Urteil vom 2. Juni 2005 – 2 AZR 296/04).

Praxistipp:

  • In einem Arbeitsvertrag darf für den Arbeitnehmer keine längere Kündigungsfrist vereinbart werden also für den Arbeitgeber, § 622 Abs. 6 BGB.
  • Die zu Lasten des Arbeitnehmers vereinbarte kürzere Kündigungsfrist für Kündigungen durch den Arbeitgeber ist unwirksam.
  • An die Stelle der zu kurzen Kündigungsfrist tritt die lange Kündigungsfrist die der Arbeitnehmer vertraglich einzuhalten hätte, § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB analog.
  • Arbeitgeber sollten darauf achten, dass für den Arbeitnehmer keine längere Kündigungsfrist vereinbart wird, als für den Arbeitgeber.