LAG Baden-Württemberg: Kein zwingender Verstoß gegen das AGG bei krankheitsbedingter Kündigung eines älteren Arbeitnehmers wegen hoher Fehlzeiten
Weist ein älterer Arbeitnehmer deutlich höhere Fehlzeiten auf als der Durchschnitt vergleichbarer Arbeitnehmer in seiner Altersgruppe, verstößt eine Kündigung wegen im Vergleich zu jüngeren Kollegen erhöhten krankheitsbedingten Fehlzeiten nicht wegen unzulässiger Altersdiskriminierung gegen das AGG.
Der Sachverhalt
Der 54-jährige Kläger war seit 1981 bei der Beklagten als Gipser beschäftigt. In den letzten zehn Jahren betrugen die Fehlzeiten des Klägers insgesamt 395 Tage, wobei die Fehlzeiten vermehrt in den letzten fünf Jahren auftraten und eine steigende Tendenz aufwiesen. Abgesehen von zwei Zeiträumen in den Jahren 2005 und 2006 von insgesamt ca. sechs Wochen leistete die Beklagte für die gesamte krankheitsbedingte Abwesenheit des Klägers Entgeltfortzahlung. Ursachen für die Arbeitsunfähigkeit des Klägers waren jeweils Erkältungskrankheiten, Magenbeschwerden oder orthopädische Leiden. Seine beiden ca. 15 Jahre jüngeren Kollegen wiesen im gleichen Zeitraum 202 und 212 krankheitsbedingte Fehltage auf. Mit Schreiben vom 12.09.2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30.04.2007 wegen hoher krankheitsbedingter Fehlzeiten. Die Beklagte beschäftigte im maßgeblichen Zeitraum nicht mehr als fünf Arbeitnehmer.
Mit seiner gegen die Kündigung gewandten Klage machte der Kläger geltend, dass die Kündigung gegen Treu und Glauben verstoße. Auch in einem Kleinbetrieb müsse der Arbeitgeber ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme wahren und dürfe ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt lassen. Außerdem stelle die Kündigung eines älteren Mitarbeiters anstatt eines jüngeren und weitaus kürzer Beschäftigten allein aufgrund der Arbeitsunfähigkeitszeiten eine Altersdiskriminierung dar und verstoße damit gegen das AGG.
Die Beklagte wehrte sich gegen den Vorwurf der Altersdiskriminierung sowie der Treuwidrigkeit der Kündigung und verwies auf die erheblichen wirtschaftlichen Belastungen, die infolge der hohen Fehlzeiten durch die Entgeltfortzahlungskosten entstanden seien.
Die Entscheidung
Das LAG Baden-Württemberg hat die Klage abgewiesen und sah damit das Arbeitsverhältnis als wirksam gekündigt an. Die Kündigung verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Nach Ansicht des Gerichts spricht sogar vieles dafür, dass selbst bei Geltung des § 1 Abs. 2 KSchG eine Kündigung sozial gerechtfertigt gewesen wäre, da die betrieblichen Beeinträchtigungen durch die Entgeltfortzahlungskosten erheblich waren und die Beklagte eher damit rechnen musste, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in der Zukunft noch zunehmen würden. Dann muss aber erst Recht eine Kündigung im Kleinbetrieb zulässig sein, weil die Grenze der Treuwidrigkeit einer Kündigung deutlich unterhalb der Schwelle liegt, die für die Rechtfertigung krankheitsbedingter Kündigungen nach § 1 Abs. 2 KSchG gilt.
Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen § 7 Abs. 2 AGG wegen Altersdiskriminierung vor. Eine allein auf die Anzahl der Fehltage gestützte Kündigung kann zwar diskriminierend sein, weil ältere Arbeitnehmer statistisch eine höhere Krankheitsanfälligkeit aufweisen. So betrug der durchschnittliche jährliche Krankenstand im Baugewerbe bei der Gruppe der bis 24-jährigen Arbeitnehmer 5,5 Kalendertage, bei den 25- bis 34-jährigen 8,7 Kalendertage, bei den 35- bis 44-jährigen 11,6 Kalendertage, bei den 45- bis 54-jährigen 15,0 Kalendertage und bei den ab 55-jährigen 20,7 Kalendertage.
Allerdings kommt eine solche Altersdiskriminierung nur dann in Betracht, wenn einem älteren Arbeitnehmer wegen Fehlzeiten gekündigt wird, die über den durchschnittlichen Fehlzeiten jüngerer Kollegen liegen, sich aber noch im Rahmen der durchschnittlichen Fehlzeiten vergleichbarer Arbeitnehmer seiner Altersgruppe bewegen.
Die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers sind mit durchschnittlich 41 Fehltagen pro Jahr jedoch nicht nur höher als die durchschnittlichen Fehlzeiten seiner jüngeren Kollegen, sondern liegen auch deutlich über dem Durchschnitt der Fehlzeiten seiner Altersgruppe. Das Bestreben der Beklagten durch den Ausspruch der Kündigung die wirtschaftliche Belastung durch Entgeltfortzahlungskosten zu beschränken, stellt damit auch unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung einen einleuchtenden Grund dar und hat nichts mit einer Diskriminierung wegen Alters zu tun.
(Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 18.06.2007, 4 Sa 14/07)
Praxistipp:
- Diese Entscheidung zeigt wieder, dass Kündigungen seit Geltung des AGG auch unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Diskriminierung nach den Antidiskriminierungsvorschriften geprüft werden müssen.
- Zwar liegt ein höchstrichterliches Urteil zu der Frage, ob das AGG wegen § 2 Abs. 4 AGG auf Kündigungen überhaupt anwendbar ist, noch nicht vor, so dass diesbezüglich nach wie vor eine Rechtsunsicherheit besteht.
- Nach § 2 Abs. 4 AGG gelten für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz. Damit wird der Diskriminierungsschutz eigentlich aus dem Bereich der Kündigungen herausgenommen.
- Bisherige Entscheidungen der Instanzgerichte zeigen jedoch, dass die Vorschrift entweder wegen offenkundigen Verstoßes gegen AGG-relevante EU-Richtlinien überhaupt nicht angewandt oder eine europarechtskonforme Auslegung empfohlen wird. Teilweise wird die Frage der Anwendbarkeit auch offen gelassen, weil sie im zu entscheidenden Fall nicht streitentscheidend war.
- Bei Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes fließt der Diskriminierungsschutz über die zivilrechtliche Generalklausel des § 242 BGB ein.