LAG Berlin-Brandenburg: Keine Altersdiskriminierung bei Sozialauswahl mit Altersgruppenbildung
Die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur durch die Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl stellt eine Rechtfertigung einer möglichen Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von Artikel 6 I der Richtlinie 2000/78/EG dar. Das LAG Berlin-Brandenburg liegt damit auf einer Linie mit der Entscheidung des LAG Niedersachen vom 16.07.2007.
Der Sachverhalt
Der Kläger war seit 1986 bei der Beklagten als Maschinenbediener beschäftigt. Aufgrund erheblicher Auftragsrückgänge wurde ein Personalabbau von 66 Mitarbeitern erforderlich. Beklagte und Betriebsrat vereinbarten daraufhin einen Sozialplan/Interessenausgleich mit Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer.
Bei der vorzunehmenden Sozialauswahl wurden zur Erhaltung einer ausgewogenen Alterstruktur im Unternehmen innerhalb der Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer Altersgruppen gebildet. Ohne die Bildung von Altersgruppen wäre aufgrund des nicht unerheblichen Personalabbaus der Altersdurchschnitt von 48,7 auf 50,5 Jahre gestiegen und die Beklagte ihres gesamten Nachwuchses beraubt worden.
Entsprechend der Namensliste kündigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 23.06.2006 betriebsbedingt zum 31.01.2007.
Nachdem das Arbeitsgericht Berlin seine Kündigungsschutzklage abgewiesen hat, macht der Kläger nunmehr im Berufungsverfahren erneut die Unwirksamkeit der Kündigung wegen grob fehlerhafter Sozialauswahl geltend.
Die Beklagte hält an der Wirksamkeit der Kündigung fest und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Die Entscheidung
Das LAG hat die Berufung zurückgewiesen und das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin bestätigt. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt, eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl liegt nicht vor.
Nach Auffassung des LAG war die Bildung von Altersgruppen zur Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur, insbesondere unter dem Aspekt einer andernfalls erheblichen Erhöhung des Durchschnittsalters, nicht zu beanstanden.
Das Gericht stellte insbesondere klar, dass die Auswahl nach Altersgruppen auch keine ungerechtfertigte Diskriminierung im Sinne der EU-Richtlinie 2000/78/EG darstellt. Diese Richtlinie legt einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung und Beschäftigung im Beruf fest und soll Ungleichbehandlungen wegen Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Ausrichtung verhindern. Sie ist Grundlage des AGG, das mit Inkrafttreten zum 18.08.2006 den Diskriminierungsschutz in nationales Recht umgesetzt hat.
Im Unterschied zu der Entscheidung des LAG Niedersachen vom 16.07.2006 hatte das LAG Berlin-Brandenburg aufgrund des Ausspruchs der Kündigung bereits am 23.06.2006 die Bildung der Altersgruppen noch nicht am Maßstab des AGG zu prüfen, sondern an der dem AGG zu Grunde liegenden EU-Richtlinie 2000/78/EG. Das LAG ließ dabei offen, ob es sich bei der Altersgruppenregelung überhaupt um eine Diskriminierung handelt, ob die Bildung von Altersgruppen wegen der zum damaligen Zeitpunkt noch bestehenden Umsetzungsfrist der Richtlinie in nationales Recht bis zum 02.12.2006 überhaupt an der Richtlinie zu messen ist oder ob sich ein Altersdiskriminierungsschutz bereits aus ungeschriebenem, europäischem Recht ergibt. In jedem Fall liegt nämlich zumindest eine Rechtfertigung vor, da zur Altersgruppenbildung ein legitimes Ziel vorliegt und diese zur Erreichung dieses Ziels auch angemessen und erforderlich ist.
Die ausgewogene Altersstruktur, die bei einer Sozialauswahl zum Maßstab der betriebsbedingten Kündigung gemacht werden darf, trägt nämlich dem Umstand Rechnung, dass insbesondere bei Massenentlassungen die soziale Auswahl nur anhand der Kriterien „Betriebszugehörigkeit“, „Lebensalter“, „Unterhaltspflichten“ und „Schwerbehinderung“ dazu führt, dass sich die Personalstruktur des Betriebes nachhaltig verschlechtert. Diese Überalterung der Belegschaft würde aber berechtigten betrieblichen Interessen zuwider laufen, zumal in dieser Situation in der Regel nicht mit zahlreichen Neueinstellungen zu rechnen ist.
(LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.04.2007, 13 Sa 2208/06)
Praxistipp:
- Die erneute Entscheidung eines LAG zu der Frage der Altersdiskriminierung durch Altersgruppenbildung bei der Sozialauswahl zeigt die hohe Praxisrelevanz dieses Sachverhalts.
- Wie schon das LAG Niedersachsen hat auch das LAG Berlin-Brandenburg die Revision zugelassen, so dass in naher Zukunft mit einer endgültigen Klärung und Beseitigung der Rechtsunsicherheit in der Personalpraxis durch das BAG zu rechnen ist.
- Aufgrund der Tatsache, dass das AGG insgesamt Diskriminierungen wegen des Alters und damit auch Diskriminierungen Jüngerer verbietet, geht die Tendenz wohl eher zu einer Vereinbarkeit der Altersgruppenbildung bei der Sozialauswahl mit dem Diskriminierungsschutz Älterer. Dies zeigen auch die beiden Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte.
- Sollte das BAG sich gegen eine Zulässigkeit der Altergruppenbildung entscheiden, wäre die interessante Frage zu klären, inwieweit das mit dem gleichwertigen Diskriminierungsschutz Jüngerer zu vereinbaren ist. Diese würden nämlich aufgrund der vom Gesetz vorgegebenen allein maßgeblichen Kriterien ohne die Bildung von Altersgruppen zumindest mittelbar diskriminiert. Bei der Verwendung von Punkteschemata bei der Sozialauswahl ist das Erreichen einer hohen Punktzahl insbesondere bei den Kriterien „Alter“ und „Betriebszugehörigkeit“ zwangsläufig mit einem höheren Alter verbunden.