LAG Düsseldorf: Urlaubsabgeltungsanspruch auch für das ganze Jahr krankgeschriebene Arbeitnehmer

Auch ein Arbeitnehmer, der während des ganzen Jahres krankgeschrieben war, erwirbt den gesetzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub von jährlich vier Wochen. Nicht genommener Urlaub verfällt nicht, sondern ist nachzugewähren beziehungsweise nach Ende des Arbeitsverhältnisses abzugelten.

Der Sachverhalt

Der klagende Arbeitnehmer war ab September 2004 fortlaufend arbeitsunfähig krankgeschrieben und Ende September 2005 aufgrund Bezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Ihm standen pro Jahr sieben Wochen Urlaub zu, nämlich vier Wochen gesetzlicher Erholungsurlaub, eine Woche Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen und zwei Wochen tariflicher Mehrurlaub. Mit der Klage verlangt er die Abgeltung des noch offenen Urlaubs aus den Jahren 2004 und 2005.

Das Vorverfahren

Nachdem das Arbeitsgericht Düsseldorf im November 2005 die Klage abgewiesen hatte, hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf das Berufungsverfahren zunächst ausgesetzt, um den Europäischen Gerichtshof mehrere grundsätzliche Fragen, die in diesem Zusammenhang aus dem Europarecht resultieren, zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Hierbei hatte eine Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf Zweifel, ob die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die im Streitfall einen Verfall des geltend gemachten Urlaubsanspruches und somit auch seiner Abgeltung zur Folge hätte, mit dem Europäischen Recht vereinbar sei.

Der EuGH bestätigte die Auffassung des Landesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 20.01.2009 (C-350/06), so dass nach Europäischen Recht der Urlaubsanspruch und dessen Abgeltung auch unter den hier zur Entscheidung anstehenden Umständen weiterhin bestehen.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat in Folge des Urteils des EuGH die Klage weitgehend zugesprochen.

Es hat den Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs und des Zusatzurlaubs aus einer richtlinienkonformen Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes hergeleitet und, weil der Kläger im öffentlichen Dienst beschäftigt war, außerdem aus einer unmittelbaren Anwendung der EG-Richtlinie RL 2003/88/EG.

Die EG-Richtline erfasst allerdings nicht tariflichen oder vertraglichen Mehrurlaub, was im vorliegenden Fall wegen einer Sonderregelung im Tarifvertrag zur Folge hatte, dass die zwei Wochen Mehrurlaub für 2004 verfallen waren, wohingegen der Mehrurlaub für 2005 voll entstanden und abzugelten war.

Im einzelnen hat nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch in der Bundesrepublik für den gesetzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub von jährlich vier Wochen folgendes zu gelten:

Der Urlaub wird nicht nur für Zeiten erworben, in denen der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft zur Verfügung gestellt hat, sondern auch für Zeiten, in denen er ordnungsgemäß krankgeschrieben war.

Weiterhin verfällt der Urlaubsanspruch nicht, sondern ist, falls der Urlaub im Urlaubsjahr nicht erteilt wurde, vom Arbeitgeber zu späterer Zeit nachzugewähren.

Schließlich hat der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Abgeltung des noch offenen Urlaubs, und zwar auch dann, wenn er während des gesamten Urlaubsjahres und darüber hinaus krankgeschrieben war bzw. weiterhin weiterhin krankgeschrieben ist.

(LAG Düsseldorf, Urteil vom 02.02.2009 – 12 Sa 486/06)

Praxistipp:

  • Das LAG Düsseldorf entschied hier gegen die ständige Rechtsprechung des BAG und erhielt hierzu Unterstützung vom EuGH.
  • Der EuGH sieht bezahlten Jahresurlaub als einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft an.
  • Ein Mitgliedsstaat dürfe den Anspruch auf Jahresurlaub bei ordnungsgemäß krank geschriebenen Arbeitnehmern nicht davon abhängig machen, dass sie während des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet haben.
  • Nationale Vorschriften über den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums seien zulässig, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den Urlaubsanspruch auszuüben.
  • Hat er diese Möglichkeit, z.B. wegen Krankheit, jedoch nicht, würde ein Erlöschen des Urlaubsanspruchs das jedem Arbeitnehmer durch die Richtlinie unmittelbar gewährte soziale Recht auf Urlaub beeinträchtigen und wäre deshalb gemeinschaftsrechtswidrig.
  • Dies gelte auch für den Abgeltungsanspruch als Ausfluss des Urlaubsanspruchs selbst.
  • Für öffentliche Arbeitgeber gilt die Entscheidung des EuGH unmittelbar und zwingend.
  • Für private Arbeitgeber ist bedeutsam, dass die Revision zum BAG zugelassen wurde.
  • Das BAG wird sehr wahrscheinlich der Auffassung des LAG Düsseldorf folgen und § 7 III BUrlG richtlinienkonform auslegen. Damit müssten auch private Arbeitgeber zumindest den gesetzlichen Mindesturlaub auch bei andauernder Krankheit abgelten.