LAG Hamburg: Kein Einsichtsrecht in andere Bewerbungen durch abgelehnten Bewerber zur Geltendmachung einer Entschädigungsklage nach dem AGG

Ein abgelehnter Stellenbewerber hat im Rahmen einer Entschädigungsklage gemäß § 15 Abs. 2 AGG wegen behaupteter Diskriminierung keinen Anspruch auf Auskunftserteilung in Form der Vorlage der Bewerbungsunterlagen des ausgewählten Bewerbers.

Der Sachverhalt

Die Klägerin ist Softwareentwicklerin. Sie hatte sich bei der Beklagten um eine entsprechend ausgeschriebene Stelle beworben und erhielt eine Absage.

Auf eine inhaltsgleiche Stelle im Internet schrieb die Klägerin die Beklagte erneut an und bekam wieder eine Absage, auch hier ohne vorherige Einladung zum Vorstellungsgespräch.

Die Klägerin begehrte nun von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG wegen Benachteiligung bei der Stellenbewerbung.

Sie trug vor, dass zumindest ein Anspruch auf Vorlage der Bewerbungsunterlagen des an Ihrer Stelle ausgewählten Bewerbers bestehe. Es gebe objektiv keinen geeigneteren Bewerber und sie entspreche ideal den Anforderungen der Beklagten. Die Ablehnung könne daher nur damit zusammenhängen, dass sie eine Frau, über 45 Jahre alt und nichtdeutscher Herkunft sei.

Da in ihrer Person somit drei typische Diskriminierungsmerkmale vereint seien, sei die Benachteiligung besonders offenkundig. Sie habe somit ausreichend Indizien benannt, die eine Diskriminierung im Bewerbungsverfahren zeigten, so dass ihr zumindest ein Anspruch auf Vorlage der Bewerbungsunterlagen des an ihrer Stelle ausgewählten Bewerbers zustehe, um ihren Vortrag weiter zu substantiieren.

Die Entscheidung

Sowohl das Arbeitsgericht also auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache wurde aber die Revision zum BAG durch das LAG Hamburg zugelassen.

Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG ist, dass der Arbeitgeber gegen das sich aus § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 AGG ergebende Benachteiligungsverbot verstößt. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Indizien, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt gem. § 22 AGG diejenige Partei, die sich auf eine solche Benachteiligung beruft.

Die Klägerin hat derartige Indizien weder schlüssig vorgetragen noch unter Beweis gestellt. Auch sind in den Stellenausschreibungen und Absageschreiben der Beklagten keine Anhaltspunkte enthalten, aus denen sich eine Wahrscheinlichkeit für eine Benachteiligung ergeben könnte.
Allein daraus, dass die Klägerin eine 45-jährige Frau ausländischer Herkunft ist, folgt noch keine Benachteiligung. Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Bewerber mit diesen Merkmalen nur wegen dieser Merkmale nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, gibt es nicht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin nach ihrem Vortrag über die für die ausgeschriebene Stelle erforderliche Qualifikation verfügt. Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, alle grundsätzlich geeigneten Stellenbewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.

Auch erfolgt die Behauptung der Klägerin, es gebe keinen geeigneteren Bewerber ins Blaue hinein, da es außer ihrer persönlichen Überzeugung keinerlei Darlegungen dazu gibt, weshalb es ausgeschlossen sein sollte, dass gleich oder besser geeignete Bewerber vorhanden gewesen sein könnten.

Da nach § 22 AGG zunächst der Arbeitnehmer ausreichend Indizien für eine Benachteiligung vortragen muss, bevor der Arbeitgeber darlegen muss, weshalb die Benachteiligung gerechtfertigt bzw. entgegen der Indizien nicht gegeben ist, hat die Klägerin auch keinen Auskunftsausspruch über den eingestellten Bewerber. Andernfalls müsste der Arbeitgeber auch ohne das Vorliegen von Anhaltspunkten dem Bewerber die für die Schlüssigkeit seines Klagebegehrens erforderlichen Anhaltspunkte verschaffen. Das ist unzumutbar und würde auch dem zweistufigen Beweislastsystem des § 22 AGG widersprechen.

(LAG Hamburg Urteil vom 09.11.2007, H 3 Sa 102/07)

Praxistipp:

  • Der Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG gewährt grundsätzlich einen Anspruch in Geld unabhängig vom Verschulden des Arbeitgebers.
  • Die Beweislast für einen Verstoß gegen ein in § 1 AGG aufgeführtes Diskriminierungsmerkmal ist in § 22 AGG geregelt. Danach muss der Betroffene nicht den vollen Beweis einer Diskriminierung erbringen, sondern es reicht aus, wenn er lediglich Indizien vorbringt, die auf eine Benachteiligung schließen lassen.
  • Der Arbeitgeber muss dann den vollen Gegenbeweis erbringen, dass eine Benachteiligung entgegen der Indizien nicht vorlag oder gerechtfertigt ist. Das kann im Einzelfall schwierig sein.
  • Aus diesem Grund sollte insbesondere bei der Stellenausschreibung auf Neutralität geachtet werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Indizien geschaffen werden, obwohl der Arbeitgeber eine Benachteiligung überhaupt nicht beabsichtigt hat.
  • Deshalb sollten auch in schriftlichen Absagen möglichst keine Gründe genannt werden
  • Mündliche Auskünfte sind ebenfalls zu vermeiden.
  • Außerdem ist eine sorgfältige Dokumentation des gesamten Einstellungsprozesses, insbesondere auch der Entscheidungskriterien, ratsam.