LAG Düsseldorf: Betriebsrat muss bei Kündigungen erst ab Konstituierung angehört werden

Sofern in einem Betrieb erstmals ein Betriebsrat gewählt wird, so ist der Arbeitgeber nicht bereits ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses, sondern erst mit Konstituierung des Betriebsrats verpflichtet, diesen zu einer beabsichtigten Kündigung anzuhören.

Der Sachverhalt

Der Kläger war seit 1985 als Lagerleiter bei der Beklagten, die ein Autohaus in S. betreibt, beschäftigt. Am 19.06.2008 wählte die Belegschaft erstmals einen Betriebsrat. Das Wahlergebnis des siebenköpfigen Betriebsrats wurde in einem der vier Betriebsteile am 19.06.2008, in den übrigen Betriebsteilen am 20.06.2008 bekanntgemacht. Am 20.06.2008 erhielt die Beklagte auch eine Abschrift der Wahlniederschrift. Die konstituierende Sitzung des siebenköpfigen Betriebsrats fand am 26.06.2008 statt.

Am 23.06.2008, also zwischen diesen beiden Terminen, erfuhr die Beklagte, dass der Kläger und der Betriebsleiter K. seit dem Jahr 2003 mittels fingierter Kundengutschriften Kassenauszahlungen veranlasst und selbst vereinnahmt hatten. Der Kläger gab die „Barentnahmen“, die von der Beklagten auf insgesamt 138.840,42 Euro beziffert wurden, dem Grunde nach zu, wobei er geltend machte, die Beträge meistens an den K. weitergeleitet zu haben. Weiterhin räumte er ein, mehrfach seinen Privatwagen und den seiner Ehefrau an der firmeneigenen Tankanlage betankt zu haben, sowie aus dem Betrieb Artikel wie Toilettenpapier und Küchenrollen mitgenommen zu haben.

Mit Schreiben vom 23.06.2008, dem Kläger am 24.06.2008 zugegangen, erklärte die Beklagte daraufhin die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Mit der am 04.07.2008 beim Arbeitsgericht Wuppertal eingereichten Kündigungsschutzklage hat der Kläger gerügt, dass – was unstreitig ist – der am 19.06.2008 gewählte Betriebsrat nicht zur Kündigung angehört worden und die Kündigung daher mangels Betriebsratsanhörung unwirksam sei.

Die Entscheidung

Die Klage hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht keinen Erfolg. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache ließ das Landesarbeitsgericht jedoch die Revision zum BAG zu.

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wirksam fristlos gekündigt. Eine Anhörungspflicht des Betriebsrats besteht erst mit der Konstituierung des Betriebsrats, welche hier bei Ausspruch der Kündigung noch nicht erfolgt war. Damit ist die Kündigung nicht mangels Anhörung des Betriebsrats unwirksam.

Es ist zwar grundsätzlich umstritten, ob der Betriebsrat bereits ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses oder erst mit Konstituierung zu einer beabsichtigten Kündigung anzuhören ist. Hierbei ist zu bedenken, dass es bis zur konstituierenden Sitzung weder einen Vorsitzenden noch einen Vertreter gibt, eine Unterrichtung des Betriebsrates würde somit auf unüberwindliche rechtliche und praktische Probleme stoßen. Da der Betriebsrat damit bis zu seiner Konstituierung noch nicht funktionsfähig ist, spricht dies für eine Anhörungspflicht erst ab Konstituierung des Betriebsrats. Des Weiteren liegt die Konstituierung auch in der Sphäre des Betriebsrats bzw. des Wahlvorstands. Ihnen obliegt es daher, rechtzeitig für einen funktionsfähigen Betriebsrat zu sorgen.

(LAG Düsseldorf, Urteil vom 24.06.2009 – 12 Sa 336/09)

Praxistipp:

  • Die konstituierende Sitzung des Betriebsrats dient in erster Linie der Wahl des Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden. Die konstituierende Sitzung ist spätestens eine Woche nach dem Wahltag einzuberufen.
  • Wird in einem Betrieb erstmals ein Betriebsrat gewählt, beginnt die Amtszeit des neuen Betriebsrats zwar mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Der Amtsbeginn fällt aber nicht zwingend mit dem Beginn der tatsächlichen Amtsführung zusammen, wenn sich der Betriebsrat am Tage des Amtsbeginns noch nicht konstituiert hat.
  • § 26 Abs. 2 S. 3 BetrVG sieht nämlich vor, dass zur Entgegennahme von Erklärungen, die dem Betriebsrat gegenüber abzugeben sind, der Vorsitzende bzw. im Falle seiner Verhinderung der Stellvertreter berechtigt ist. Erklärungen, die einem anderen Betriebsratsmitglied gegenüber abgegeben wurden, sind dem Betriebsrat erst dann zugegangen, wenn sie dem Vorsitzenden bzw. dessen Stellvertreter zur Kenntnis gelangt sind. Das ist insbesondere bei Kündigungsanhörungen von Bedeutung, da die hier vorgesehene Frist zur Stellungnahme des Betriebsrates erst mit Zugang des Anhörungsschreibens zu laufen beginnt.
  • Beginnt die Anhörungspflicht bei beabsichtigten Kündigungen erst mit der Konstituierung des Betriebsrats, so kann zwar eine „Schutzlücke“ zwischen Amtsbeginn und konstituierender Sitzung entstehen. Diese ist jedoch gesetzesimmanent und kann in der Praxis dadurch minimiert werden, dass der Wahlvorstand die konstituierende Sitzung unmittelbar der Bekanntgabe des Wahlergebnisses nachfolgen lässt.