ArbG Berlin-Brandenburg: Trotz neuer Urlaubsrechtsprechung des EuGH können zusätzliche gesetzliche und tarifliche Urlaubsansprüche verfallen

Wenn ein Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig krank war, verfällt nach der neueren Rechtsprechung des EuGH lediglich der vierwöchige Mindesturlaub nicht. Darüber hinausgehende tarifliche Urlaubsansprüche oder auch der zusätzliche Erholungsurlaub nach § 125 SBG IX verfallen daher im Regelfall wie bisher.

Der Sachverhalt

Die 1950 geborene, schwerbehinderte Klägerin war bei dem beklagten Land als Angestellte in einer Fünf-Tage-Woche tätig. Auf das Arbeitsverhältnis war der BAT anwendbar. Die Klägerin hatte einen tariflichen Urlaubsanspruch von 30 Tagen und nach § 125 SGB IX einen zusätzlichen Urlaubsanspruch von fünf Arbeitstagen. Im Jahr 2005 nahm sie in der Zeit vom 04. bis 29.07.2005 Urlaub. Seit dem 23.08.2005 bis zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses im Oktober 2007 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Rückwirkend zum 01.02.2007 wurde ihr Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit zuerkannt.

Von der Beklagten verlangte die Klägerin die Abgeltung ihrer Ansprüche aus den Jahren 2005 bis 2007. Die hierauf gerichtete Klage hatte lediglich teilweise Erfolg.

Die Entscheidung

Nach der Entscheidung des AG Berlin-Brandenburg hat die Klägerin lediglich hinsichtlich des Mindesturlaubsanspruchs von 20 Arbeitstagen pro Jahr einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung.

Auch das Urteil des EuGH vom 20.01.2009, wonach Arbeitnehmer ihren Urlaubsanspruch auch bei lang andauernder Krankheit nicht verlieren, bezieht sich lediglich auf den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen. Sowohl der tarifliche Mehrurlaubsanspruch als auch der gesetzliche, zusätzliche Erholungsurlaub nach § 125 SGB IX ist damit mit Ablauf des tariflichen Übertragungszeitraums nach § 47 Absatz 7 BAT zum 30.06. des Folgejahres verfallen.

Damit hat die Klägerin für das Jahr 2005 keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung, da die Klägerin zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für das Jahr 2005 keinen Urlaubsanspruch mehr hatte, der abzugelten wäre. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch ist durch die Gewährung von Urlaub in der Zeit vom 04. bis 29.07.2005, d.h. im Umfang von 20 Urlaubstagen, erfüllt. Für das Jahr 2006 hat die Klägerin einen Anspruch auf Abgeltung ihres gesetzlichen Mindesturlaubs von 20 Arbeitstagen. Weitergehende Ansprüche sind am 30.06.2007 verfallen. Für das Jahr 2007 erfolgte lediglich eine anteilige Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs für den Januar 2007. Insoweit steht ihr eine Abgeltung von zwei Urlaubstagen zu.

(AG Berlin-Brandenburg vom 22.04.2009 – 56 Ca 21280/08)

Praxistipp:

  • Wird ein laufender Jahresurlaubsanspruch durch Urlaubsgewährung nur teilweise erfüllt, ist davon auszugehen, dass zunächst der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nach dem BUrlG erfüllt werden soll.
  • Entgegen der Auffassung des BAG (Urteil v. 24.03.2009, 9 AZR 983/07) setzt der Verfall von über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden einzelvertraglichen oder tariflichen Urlaubsansprüchen nach Auffassung des AG Berlin-Brandenburg nicht voraus, dass der Arbeits- oder Tarifvertrag zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Ansprüchen differenziert. Denn ohne besondere Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass arbeitsunfähige Arbeitnehmer im Hinblick auf den Verfall ihrer Urlaubsansprüche nicht besser gestellt werden sollen, als arbeitsfähige.
  • Nach Auffassung des BAG können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch hinausgehen, zwar frei geregelt werden. Für einen Regelungswillen der Parteien, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Ansprüchen unterscheidet, verlangt das BAG jedoch deutliche Anhaltspunkte.
  • Will man als Arbeitgeber ganz sicher gehen, empfiehlt sich jedenfalls zumindest in den Arbeitsverträgen eine Differenzierung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubsansprüchen.
  • Da der zusätzliche gesetzliche Erholungsurlaub nicht der Umsetzung sonstigen EU-Rechts dient und daher den allgemeinen Grundsätzen des Urlaubsrechts unterliegt, verfällt dieser Zusatzurlaub daher, wenn er bis zum Ende des Übertragungszeitraums wegen Arbeitsunfähigkeit nicht in Anspruch genommen wird. Das LAG Düsseldorf vertritt hier allerdings in seinem Urteil vom 02.02.2009 (12 Sa 486/06) eine gegenteilige Auffassung.