LAG Schleswig-Holstein: Nicht in jedem Fall rechtfertigt eine Beleidigung des Vorgesetzten eine Kündigung

Grundsätzlich sind beleidigende oder herabsetzende Äußerungen über Vorgesetzte zwar geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Grundsätzlich setzt aber der Ausspruch einer Kündigung eine vorherige Abmahnung voraus. Daran ändert auch die Weigerung des Vorgesetzten, wegen der Äußerung des Mitarbeiters weiter mit diesem zusammenzuarbeiten, nichts.

Der Sachverhalt

Bei dem beklagten Landkreis war die Klägerin als Tierärztin beschäftigt, wobei ihr die Fleischbeschau in einem großen Schlachthaus oblag. Nach wiederholten Streitigkeiten zwischen der Klägerin und einigen Mitarbeitern des Schlachthofs wurde die Klägerin von dem Beklagten auf einem anderen Schlachthof eingesetzt.
Über eine Praktikantin erfuhr der Beklagte einige Jahre später, dass die Klägerin sich wiederholt beleidigend und abfällig über Ihren Vorgesetzten geäußert hätte. Weiter äußerte sich eine andere Tierärztin dahingehend, dass sich die Klägerin auch ihr gegenüber abfällig über den Vorgesetzten geäußert hätte und diesem unter anderem frauenfeindliches Verhalten vorgeworfen hätte. Daraufhin kam es zur ordentlichen, fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin, was der Beklagte damit begründete, dass er die Klägerin nirgendwo mehr einsetzen könne und insbesondere ihr bisheriger Vorgesetzter nicht mehr bereit sei, mit ihr zusammenzuarbeiten. Die Klägerin bestritt die Vorwürfe und erhob Kündigungsschutzklage.

Die Entscheidung

Das LAG Schleswig-Holstein gab der Kündigungsschutzklage der Klägerin statt und bestätigte damit die Entscheidung des Arbeitsgerichtes. Die Kündigung war gemäß § 1 KSchG sozialwidrig und damit nicht wirksam. Zwar sind die der Klägerin vorgeworfenen abfälligen Äußerungen über ihren Vorgesetzten grundsätzlich geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Aber auch wenn die Klägerin ihren Vorgesetzten tatsächlich beleidigt haben sollte, wäre vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen. Auch das Vorbringen des Beklagten, dass die Klägerin wegen der Weigerung ihres Vorgesetzten, weiter mit ihr zusammenzuarbeiten, nicht mehr einsatzfähig sei, ändert daran nichts. In einem solchen Fall ist der Arbeitgeber gehalten, vor Ausspruch der Kündigung ein klärendes Gespräch zwischen Arbeitnehmer und Vorgesetztem zu vermitteln.

(LAG Schleswig-Holstein, 21.07.2009 – 2 Sa 460/08)

Praxistipp:

  • Notwendige Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung ist grundsätzlich eine Abmahnung.
  • Eine wirksame Abmahnung muss sowohl die Rügefunktion (der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer auffordern, ein genau bezeichnetes Fehlverhalten zu ändern oder aufzugeben) als auch die Warnfunktion (der Arbeitnehmer muss bei weiteren Pflichtverletzungen damit rechnen, den Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses zu gefährden) beinhalten.
  • Bei Störungen im Vertrauensbereich kann eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich sein. Das ist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer davon ausgehen muss, dass der Arbeitgeber sein Fehlverhalten in keinem Fall billigt, die Abmahnung keinen Erfolg verspricht oder es sich um besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen handelt und eine weitere Zusammenarbeit daher unzumutbar wäre.
  • Davon kann aber nur in Ausnahmefällen ausgegangen werden.
  • Ferner hängen die arbeitsrechtlichen Konsequenzen in Bezug auf eine Beleidigung des Vorgesetzten stark von den Umständen des Einzelfalls ab. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die betrieblichen Umgangsformen, der Bildungsgrad des Arbeitnehmers, die konkrete Gesprächssituation, die Anwesenheit weiterer Kollegen, Ort und Zeit des Geschehens sowie vorangegangene Provokation.
  • Hier müssen in jedem Einzelfall die Interessen des Arbeitnehmers gegen die des Arbeitgebers abgewogen werden.
  • So haben die Gerichte z.B. in einem Fall die Bezeichnung des Vorgesetzten als „Arschloch“ für eine Kündigung ausreichen lassen, während in einem anderen Fall die Bezeichnung des Vorgesetzten als „Du altes Arschloch“ lediglich eine Abmahnung rechtfertigte, da in diesem Betrieb die Umgangsformen von einer rüden Ausdrucksweise geprägt waren.