Außerordentliche Kündigung eines Schwerbehinderten
Das BAG hatte hier zu entscheiden über den Beginn der Kündigungsfrist nach § 626 Absatz 2 BGB bei einem schwerbehinderten Menschen nach Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung im Widerspruchsverfahren.
Will ein Arbeitgeber sein Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer fristlos kündigen, so muss er dies innerhalb von zwei Wochen nach zuverlässiger und möglichst vollständiger positiver Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen tun, die ihm die Entscheidung ermöglicht ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für ihn zumutbar ist oder nicht.
Im Falle der außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Menschen gilt die hiervon abweichende Regel, dass die Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen kann, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung erklärt wird. Dies ergibt sich aus § 91 Abs. 5 SGB IX. Mit dieser Vorschrift wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es dem Arbeitgeber eines zu kündigenden schwerbehinderten Arbeitnehmers regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Abschlussfrist des § 626 Abs. 2 Nr. 1 BGB die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen. Die Vorschrift dient dem Schutz des Arbeitgebers.
In dem vorliegenden vom BAG entschiedenen Fall war strittig, ob diese Vorschrift des Schwerbehindertenrechts auch für den Fall gilt, dass die Zustimmung des Integrationsamtes erst im Widerspruchsverfahren gegeben wird. Zudem war zu entscheiden, ob der Arbeitgeber mit der Kündigung abwarten durfte, bis ihm der förmliche Widerspruchsbescheid des Integrationsamtes zugestellt wurde, oder ob er bereits unmittelbar nach Verkündung der Widerspruchsentscheidung in der mündlichen Verhandlung die Kündigung aussprechen musste.
Das BAG entschied zum einen, dass dieselben Grundsätze wie oben beschrieben gelten, wenn die Zustimmung des Integrationsamts erst durch den Widerspruchsbescheid erteilt wurde. Die weitgehende Übereinstimmung der Interessenlage und Verfahrenskonstellationen rechtfertigt eine entsprechende Anwendung des § 91 Abs. 5 SGB IX auch für den Fall des Widerspruchsverfahrens.
Allerdings entschied das BAG auch, dass der Arbeitgeber bereits dann unverzüglich kündigen kann und muss, wenn die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung vom Widerspruchsausschuss erteilt wird. Das heißt, die Kündigung muss dann erfolgen, wenn der Arbeitgeber sichere Kenntnis davon hat, dass der Widerspruchsausschuss die Zustimmung erteilt.
Das BAG begründet seine Rechtsauffassung damit, dass die Vorschrift des § 91 Abs. 5 SBG IX der Beschleunigung des Zustimmungsverfahrens im Interesse des Arbeitgebers diene. Dieses Beschleunigungsinteresse bestehe auch im Widerspruchsverfahren. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn der Arbeitgeber die förmliche Zustellung abwarten müsste, obwohl der Widerspruchsausschuss seine Zustimmung mündlich eindeutig bekannt gegeben hat. Denn das Kündigungsrecht ist ohnehin durch das im Interesse des Behindertenschutzes durchgeführte Verwaltungsverfahren in zeitlicher Hinsicht erheblich belastet.
Im Grunde hätte also der Arbeitgeber unmittelbar nach mündlicher Bekanntgabe der Widerspruchsentscheidung in der mündlichen Verhandlung des Widerspruchsverfahrens die Kündigung erklären müssen. Ein Abwarten auf die förmliche Erteilung des Widerspruchsbescheids war nicht erlaubt.
Gleichwohl hat das BAG dem Arbeitgeber im konkreten Fall ein Abwarten des Widerspruchsbescheids zugestanden, weil zum damaligen Zeitpunkt diese Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt war. Die Auffassung des Arbeitgebers, die Zustellung des Widerspruchsbescheids abwarten zu müssen, war damals durchaus vertretbar.
Da der Arbeitgeber sich in einer für den Arbeitnehmer günstigen nachvollziehbaren Weise rechtlich relevant verhielt, kann ihm daraus kein Verschuldensvorwurf im Sinne des § 121 Abs. 1 BGB (unverzüglich = ohne schuldhaftes Zögern) gemacht werden (BAG, Urteil vom 21. April 2005 2 AZR 255/04).
* Bei der außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Menschen muss nicht die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten werden.
* Vielmehr muss die Kündigung unverzüglich nach Zustimmung des Integrationsamts erklärt werden, § 91 Abs. 5 SGB IX.
* Diese Vorschrift gilt nicht nur bei unmittelbarer Zustimmung des Integrationsamtes, sondern auch nach zunächst verweigerter Zustimmung im darauf folgenden Widerspruchsverfahren.
* Sollte Ihnen als Arbeitgeber die Entscheidung des Integrationsamts im Rahmen einer mündlichen Verhandlung oder telefonisch im Anschluss daran mitgeteilt werden, sind Sie nun nach der oben beschriebenen höchstrichterlichen Rechtssprechung verpflichtet, unmittelbar danach die Kündigung auszusprechen. Ein Abwarten der Zustellung des schriftlichen Widerspruchsbescheids würde zu einer Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung führen.