BAG: Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf ein Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung bindet Arbeitgeber auch nach Verbandsaustritt

Sofern in einem nach dem 01. Januar 2002 geschlossenen Arbeitsvertrag vertraglich vereinbart wird, dass auf das Arbeitsverhältnis die jeweils geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen Anwendung finden, ist der Arbeitgeber daran regelmäßig auch nach einem Verbandsaustritt gebunden. Das gilt jedenfalls dann, wenn sich aus dem Vertragswortlaut und den Umständen des Vertragsschlusses keine Anhaltspunkte für den Willen der Parteien ergeben, dass lediglich eine Gleichstellung nicht organisierter und organisierter Arbeitnehmer beabsichtigt war und die vereinbarte Dynamik bei Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers entfallen soll.

Der Sachverhalt

Der Kläger ist gewerkschaftlich organisiert und war bei der Beklagten seit 1964 als Schlosser beschäftigt. Im Mai 2002 wurde zwischen dem Kläger und der Beklagten ein Arbeitsvertrag geschlossen, nach dem auf das Arbeitsverhältnis die jeweils geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen für die metallverarbeitende Industrie in NRW Anwendung finden sollen.

Zum Ende des Jahres 2005 trat die Beklagte aus dem Arbeitgeberverband aus. Ein im April 2006 geschlossenes Lohnabkommen sah eine Einmalzahlung und eine dreiprozentige Entgelterhöhung vor. Beides gab die Beklagte nicht an ihre Arbeitnehmer weiter. Der Kläger macht mit seiner Klage die Zahlung der tarifvertraglichen Lohnerhöhung geltend und beruft sich auf die arbeitsvertragliche Vereinbarung, wonach der Tarifvertrag in seiner jeweils geltenden Fassung Anwendung finden soll.

Die Beklagte trägt vor, dass es sich bei der vertraglichen Bezugnahmeklausel lediglich um eine sog. Gleichstellungsklausel handele, mit der lediglich die Gleichstellung von organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern beabsichtigt worden sei. Damit sei die Klausel nach dem Verbandsaustritt nicht mehr anwendbar.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitgericht hat ihr stattgegeben. Das BAG bestätigt das Urteil des Landesarbeitsgerichts. Die Revision der Beklagten hatte damit keinen Erfolg.

Nach der Auffassung des BAG ist die arbeitsvertragliche Klausel auch noch nach dem Verbandsautritt der Beklagten anwendbar, da es sich nicht lediglich um eine Gleichstellungsabrede handelt. Von einer solchen kann bei einer vertraglichen Bezugnahme auf den jeweils gültigen Tarifvertrag bei nach dem 01. Januar 2002 geschlossenen Arbeitsverträgen nicht mehr ohne weiteres ausgegangen werden.

Vielmehr liegt eine Gleichstellungsabrede nur dann vor, wenn sich aus dem Vertragswortlaut und den Umständen des Vertragsschlusses Anhaltspunkte dafür ergeben, dass nur eine Gleichstellung der tarifgebundenen mit den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern erfolgen sollte und die vereinbarte Dynamik bei Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ebenfalls entfallen soll.

Da weder der Vertragswortlaut noch die Umstände bei Vertragsschluss hier Anhaltspunkte für den Willen der Parteien ergaben, lediglich eine Gleichstellungsabrede getroffen zu haben, muss die Beklagte die nach ihrem Verbandsaustritt geschlossenen Änderungstarifverträge nun weiterhin arbeitsvertraglich anwenden.

(BAG, Urteil vom 22.10.2008, 4 AZR 793/07)

Praxistipp:

  • Unter einer arbeitsrechtlichen Gleichstellungsabrede versteht man eine arbeitsvertragliche Verweisung auf einen Tarifvertrag, durch die lediglich erreicht wird, dass die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer ebenso behandelt werden wie Arbeitnehmer, auf welche wegen ihrer Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft die betreffenden Tarifverträge bereits tarifrechtlich angewendet werden müssen.
  • Entfällt die tarifrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers, neu abgeschlossene Tarifverträge gegenüber den organisierten Arbeitnehmern anzuwenden (z.B. durch Verbandsaustritt), entfällt dann auch eine dahingehende vertragliche Verpflichtung gegenüber nicht organisierten Arbeitnehmern.
  • Ob eine Verweisung auf einen Tarifvertrag „in der jeweils geltenden Fassung“ einen derart beschränkten Regelungsgehalt hat, die vereinbarte Dynamik also durch den Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers auflösend bedingt ist, muss durch Auslegung bestimmt werden.
  • Hierfür hatte der Vierte Senat in seiner früheren Rechtsprechung die Auslegungsregel aufgestellt, von einer Gleichstellungsabrede sei in der Regel bereits dann auszugehen, wenn der von einem tarifgebundenen Arbeitgeber gestellte Arbeitsvertrag – nach dem Wortlaut ausschließlich – auf die für ihn einschlägigen, von ihm also im Verhältnis zu organisierten Arbeitnehmern ohne weiteres anzuwendenden Tarifverträge verweist. Darauf, ob es für einen solche Regelungswillen Hinweise im Vertragswortlaut oder in Begleitumständen bei Vertragsschluss gibt, sollte es nicht ankommen.
  • Mit diesem Urteil bestätigte das BAG seine Rechtssprechungsänderung, die es bereits im Urteil vom 18. April 2007 (4 AZR 652/05) erstmalig umgesetzt hatte, nachdem es dies im Urteil vom 14. Dezember 2005 (4 AZR 536/04) angekündigt hatte.
  • An der alten Auslegungsregel wird aus Gründen des Vertrauensschutzes nur noch für Verträge festgehalten, die vor dem 01. Januar 2002 abgeschlossen wurden.