BAG: Haftung des Betriebserwerbers bei Betriebsübergang

Sofern es nach der faktischen Einstellung eines Betriebs und vor Ablauf der Kündigungsfristen zu einem Betriebsübergang kommt, tritt der Erwerber gemäß § 613a Absatz 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Das gilt auch bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz.

Der Sachverhalt

Der Beklagte eröffnete zum 01. September 2005 in den Räumen des Streitverkündeten H eine Metzgerei mit Partyservice. Bis zum 16. Juli 2005 hatte dort der Metzger B eine Metzgerei mit Mittagstisch und Partyservice betrieben. Am 29. Juli 2005 wurde über das Vermögen des B das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Arbeitsverhältnisse der bei B beschäftigten elf Arbeitnehmer endeten aufgrund betriebsbedingter Kündigungen zum 31. Oktober 2005 bzw. zum 30. November 2005; sieben Arbeitnehmer wurden – zum Teil zu geänderten Arbeitsbedingungen – vom Beklagten weiterbeschäftigt.

Die gekündigten Arbeitnehmer bezogen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Arbeitslosengeld nach § 143 Abs. 3 SGB III (sog. Gleichwohlgewährung). Für die Zeit vom 29. Juli 2005 bis zum Ablauf der jeweiligen Kündigungsfristen begehrt die klagende Bundesagentur für Arbeit diese Zahlungen vom Beklagten aus übergegangenem Recht.

Sie ist der Meinung, dass der Beklagte den Betrieb zum 01.09.2005 übernommen habe und verlangt daher von ihm die Erstattung der für die Zeit ab Insolvenzeröffnung an die Arbeitnehmer des Insolvenzschuldners gezahlten Vergütungen in Höhe von ca. 14.000 Euro. Der Beklagte ist dagegen der Ansicht, B habe den Betrieb zum 16.07.2005 endgültig stillgelegt, so dass eine Betriebsübernahme am 01.09.2005 nicht mehr in Frage komme.

Die Entscheidung

Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hatte, nahm das Landesarbeitsgericht einen Betriebsübergang der Metzgerei auf den Beklagten an. Die Revision des Beklagten hatte vor dem 8. Senat des BAG keinen Erfolg.

Der Beklagte ist als Betriebserwerber in die Rechte und Pflichten aus den noch bestehenden Arbeitsverhältnissen eingetreten. Demnach hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der gezahlten Vergütungen.

Betriebsstilllegung und Betriebsübergang schließen einander aus. Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen. Abgeschlossen ist die Stilllegung, wenn die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer beendet sind. Kommt es nach der faktischen Einstellung des Betriebs und vor Ablauf der Kündigungsfristen zu einem Betriebsübergang, tritt der Betriebserwerber gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den noch bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Dies gilt auch bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz.

(BAG, Urteil vom 22.10.2009 – 8 AZR 766/08)

Praxistipp:

  • Voraussetzung für einen Betriebsübergang ist zunächst, dass überhaupt ein Betrieb vorliegt.
  • Das BAG versteht unter Betrieb im Sinne von § 613 a BGB eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung.
  • In betriebsmittelarmen Wirtschaftszweigen kann auch die organisierte Zusammenfassung mehrerer Arbeitnehmer bereits als Betrieb i. S. d. § 613 a BGB qualifiziert werden.
  • Entscheidendes Kriterium für einen rechtserheblichen Übergang ist die Identitätswahrung. Hierbei bedarf es einer Gesamtbewertung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls.
  • Als Teilaspekte dieser Gesamtwürdigung versteht das BAG:
    – Weiterbeschäftigung der Hauptbelegschaft
    – Art des Betriebes
    – Übergang materieller Betriebsmittel
    – Übernahme immaterieller Betriebsmittel und der Organisation
    – Übergang der Kundschaft und Lieferantenbeziehungen
    – Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des bisherigen Inhabers
    – Dauer einer eventuellen Unterbrechung
    – Personal
    – Führungskräfte
    – Arbeitsorganisation
    – Betriebsmethoden
    – Zur Verfügung stehende Betriebsmittel
  • Betriebsstilllegung und Betriebsübergang schließen sich zwar im Regelfall aus. Hiervon ist allerdings dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Erwerber eines Unternehmens, welches der bisherige Inhaber stillgelegt hat, trotz der geplanten und auch durchgeführten Stilllegung noch dieselbe Geschäftstätigkeit übernehmen kann und sie weiterführt.