BAG: Jederzeitiges, unbeschränktes Widerrufsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich der Privatnutzung eines Dienstwagens durch den Arbeitnehmer in vorformuliertem Arbeitsvertrag ist unwirksam
Behält sich in einem vorformulierten Arbeitsvertrag der Arbeitgeber den jederzeitigen Widerruf der Überlassung eines auch zur Privatnutzung zur Verfügung gestellten Dienstwagens vor, so ist diese Klausel unwirksam. Die Widerrufsklausel hält einer Inhaltskontrolle nach §§ 307, 308 Nr. 4 BGB nicht stand, da das Widerrufsrecht an keinen Sachgrund gebunden ist. Damit entfällt das Widerrufsrecht des Arbeitgebers vollständig, so dass er sich auch nicht in Fällen eines berechtigten Widerrufs (z.B. bei berechtigter Freistellung des Arbeitnehmers) darauf berufen kann. Der Arbeitnehmer kann in diesem Fall eine Nutzungsausfallentschädigung von monatlich 1 % des Listenpreises des Dienstwagens verlangen.
Der Sachverhalt
Der Kläger war bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiter beschäftigt. Er macht einen Anspruch wegen der entgangenen Nutzungsmöglichkeit eines ihm zur Privatnutzung zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeuges geltend. Nachdem der Kläger sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten mit Schreiben vom 28. September 2004 zum 31. Dezember 2004 gekündigt hatte, forderte die Beklagte den Kläger schriftlich zur Herausgabe des Dienstwagens bis spätestens 04. Oktober 2004, 12 Uhr auf und stellte ihn gleichzeitig bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung frei. Sie beruft sich dabei auf eine Klausel in dem zwischen den Parteien geschlossenen sog. Dienstwagenvertrag, der den Arbeitsvertrag ergänzt.
Hier heisst es unter „9. Widerruf der Überlassung“:
„Die Beklagte kann jederzeit die Überlassung des Fahrzeuges an den Mitarbeiter widerrufen. Die Beklagte ist auch berechtigt, dem Mitarbeiter ein anderes Fahrzeug zuzuweisen. In allen Fällen hat er, wenn er von der Firma hierzu aufgefordert wird, das Fahrzeug sofort zurückzugeben. Ein Zurückbehaltungsrecht an dem Fahrzeug kann er, gleich aus welchen Gründen, nicht geltend machen.“
Danach hat sie sich einen jederzeitigen, unbeschränkten Widerruf der Überlassung des Dienstfahrzeuges an den Kläger vorbehalten, eine Begründung des Widerrufs ist nicht vorgesehen. Der Kläger ist der Aufforderung zur Herausgabe des Dienstfahrzeuges nachgekommen.
Nach Auffassung des Klägers war die Beklagte nicht berechtigt, ihm das Recht zur privaten Nutzung des Firmenwagens während der Freistellung von der Arbeitsleistung zu entziehen, da die Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung erfolgte und das Recht zur Privatnutzung des Firmenwagens als sog. Naturalvergütung Bestandteil der Vergütung ist. Aufgrund der Unwirksamkeit der Klausel hätte sich die Beklagte nicht auf diese berufen dürfen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass dem Kläger das Fahrzeug grundsätzlich nur für berufliche Fahrten zur Verfügung stehe und aufgrund der ausgesprochenen Freistellung des Klägers von der Arbeitsleistung während der Kündigungsfrist berufliche Fahrten entfielen. Damit sei sie aber entsprechend der Vereinbarungen im Dienstwagenvertrag zum Widerruf der privaten Nutzungsbefugnis des Dienstfahrzeuges berechtigt gewesen.
Die Entscheidung
Das BAG hat dem Kläger die geltend gemachte Nutzungsausfallentschädigung zugesprochen. Die von der Beklagten vorformulierte Widerrufsregelung ist nicht wirksam, da keine Widerrufsgründe enthalten sind, sondern die Beklagte zum jederzeitigen Widerruf der Privatnutzung des Fahrzeuges berechtigen. Die Klausel ist damit zu weitgehend, da aus jedem Anlass ein Widerruf erfolgen kann, was den Kläger unangemessen benachteiligt und einen Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB darstellt.
Eine Aufrechterhaltung der Klausel lediglich mit dem Inhalt, dass die Beklagte dann zu einem Widerruf der Privatnutzung berechtigt ist, wenn der Kläger aufgrund einer berechtigten Freistellung von der Arbeitspflicht während der Kündigungsfrist eines Firmenwagens nicht mehr bedarf (geltungserhaltende Reduktion) scheidet aus. In diesem Fall könnten Arbeitgeber bedenkenlos überzogene Klauseln verwenden, da diese nach einer AGB-Kontrolle im schlimmsten Fall auf das gesetzlich Zulässige reduziert werden würden. Ebenso wenig kann eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend erfolgen, dass ein Widerruf nur in Fällen eines anzuerkennenden Sachgrundes (z. B. berechtigte Kündigung, berechtigte Freistellung etc.) zulässig ist, da die Unwirksamkeit der Klausel für den Arbeitgeber keine unzumutbare Härte darstellt.
Aufgrund der Unwirksamkeit der Widerrufsklausel wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, dem Kläger die Nutzung des Firmenfahrzeugs zu Privatzwecken weiter zu ermöglichen. Da sie das nicht getan hat, ist sie gem. § 280 Absatz 1 Satz 1 i.V.m. § 283 Satz 1 BGB dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet. Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung beträgt monatlich 1 % des Listenpreises des Dienstfahrzeuges.
(BAG Urteil vom 19.12.2006 – 9 AZR 294/06)
Praxistipp:
- Nach Ablauf der Übergangsfrist zum 1. Januar 2003 unterliegen auch alle vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossenen Musterarbeitsverträge einer AGB-Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB – wenn auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsrechts.
- Da das BAG seitdem laufend mit der Überprüfung der Wirksamkeit von Arbeitsvertragsklauseln befasst ist, ergehen ständig neue Urteile, die eine immer wiederkehrende Überprüfung bestehender Vertragsklauseln auf ihre (Noch-)Wirksamkeit erforderlich machen.
- Zur Abwendung der Unwirksamkeit bestehender Arbeitsvertrags-/ Dienstwagenvertragsklauseln, die dem Arbeitgeber das Recht einräumen, die Überlassung des Dienstwagens jederzeit ohne Angabe von Gründen zu widerrufen, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein konkretes Vertragsänderungsangebot unterbreiten, durch das das uneingeschränkte Widerrufsrecht auf rechtlich zulässige Fallgestaltungen (z.B. berechtigte Freistellung, berechtigte Kündigung etc.) reduziert wird.
- Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot dann nicht an, kann er sich nicht auf eine Unwirksamkeit berufen.
- Die Entscheidung sollte daher zum Anlass genommen werden, die bisherigen Dienstwagenregelungen auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls Änderungsangebote an die Mitarbeiter zu machen.