BSG: Sozialversicherungspflicht auch bei einvernehmlicher unwiderruflicher Freistellung des Arbeitnehmers

Auch bei einer einvernehmlichen unwiderruflichen Freistellung bleibt das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis weiter bestehen. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts genügt für die Sozialversicherungspflicht das rechtliche Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung des Entgelts.

Der Sachverhalt

Den beiden Urteilen des BSG lagen folgende Sachverhaltsgestaltungen zugrunde:

1. Fall: Der Kläger war zuletzt in der Funktion des Betriebsratsvorsitzenden bei einer Krankenversicherung beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch die Versicherung gekündigt. Im anschließenden Kündigungsschutzprozess wurde vor dem Arbeitsgericht am 10.09.2004 ein Vergleich geschlossen, in dem vereinbart wurde, dass der Kläger mit sofortiger Wirkung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2005 unwiderruflich freigestellt wurde. Da die Freistellung zudem einvernehmlich erfolgt ist, stellte die Krankenkasse fest, dass das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis und damit auch die Beitragspflicht des Klägers zum 10.09.2004 geendet hat. Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Klage.

2. Fall: Die Arbeitsvertragsparteien haben für die Zeit vom 01.04.2000 bis 31.05.2005 Altersteilzeit im Blockmodell vereinbart. Danach hätte der Arbeitnehmer in der ersten Hälfte der Altersteilzeit Vollzeit arbeiten sollen und in der zweiten Hälfte sollte eine Freistellung von der Arbeitspflicht erfolgen. Allerdings haben die Parteien in einer Zusatzvereinbarung die volle Freistellung des Arbeitnehmers auch für die erste Hälfte der Altersteilzeit unter Fortzahlung seiner Vergütung vereinbart. Die Arbeitgeberin klagte gegen einen Bescheid der Einzugsstelle, durch den die Versicherungs- und Beitragspflicht trotz Freistellung festgestellt wurde.

Die Entscheidungen

Das BSG stellte in beiden Fällen die Versicherungs- und Beitragspflicht der Arbeitnehmer fest:

1. Fall: Nach Auffassung des BSG ist für den beitragsrechtlichen Begriff der Beschäftigung zum einen entscheidend, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt, das die Erbringung von Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zum Inhalt hat. Zum anderen ist entscheidend, dass ein Arbeitsverhältnis „vollzogen“ wird. Allerdings setzt der Vollzug keine tatsächliche Arbeitsleistung voraus. Ausreichend ist das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts.

2. Fall: Das BSG argumentiert hier für die erste Phase der Altersteilzeit ebenso wie in Fall 1, dass für die Versicherungs- und Beitragspflicht entscheidend ist, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt und im Fall einer Freistellung auch ohne tatsächliche Erbringung der Arbeitsleistung die Weiterzahlung des Arbeitsentgelts ausreichend ist. In der zweiten Hälfte des Freistellungszeitraums liegt eine Beschäftigung nach § 7 Abs. 1a SGB IV vor. Hier erzielt der Arbeitnehmer Entgelt durch eine vorher erbrachte Arbeitsleistung. Unerheblich ist hierbei, dass der Freistellungsphase eine Beschäftigung vorausgeht, die bereits ihrerseits durch eine Freistellung von der Arbeit gekennzeichnet war.

(BSG, Urteile vom 24.09.2008, B 12 KR 22/07 und B 12 KR 27/07)

Praxistipp:

  • Der Beschluss der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom Juli 2005 führte zu einer Verkomplizierung der Freistellungsklauseln und oft einem verbleibenden Restrisiko.
  • Danach war die Beendigung des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, das bei einer einvernehmlichen unwiderruflichen Freistellung mit dem letzten tatsächlichen Arbeitstag endete, von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu unterscheiden. Die Versicherungspflicht endete hier mit Beendigung des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses, so dass die Arbeitnehmer mit dem letzten tatsächlichen Arbeitstag sozialversicherungsrechtlich abzumelden waren.
  • Die Urteile des BSG stellen diese Verwaltungspraxis in Frage und deuten auf eine zukünftig einfachere Praxis bei Freistellungsabreden hin.
  • Allerdings sollte vor einer Veränderung der betrieblichen Praxis zunächst die Reaktion der Sozialversicherungsträger auf diese Entscheidungen sowie die Veröffentlichung der Urteilsgründe abgewartet werden. Zu gegebenem Zeitpunkt werden wir hier auf neue Erkenntnisse hinweisen.