Sozialplan mit "Turboprämie" bei Verzicht auf Kündigungsschutzklage

Können in einem Sozialplan Arbeitnehmern gesonderte Prämien dafür zugesagt werden, dass sie auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichten?

Unternehmensleitung und Betriebsrat vereinbaren häufig in Interessenausgleichen und Sozialplänen, denjenigen Mitarbeitern eine höhere Abfindung zuzusprechen, die auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichten. Diese so genannte Turboprämie trägt dem Interesse des Arbeitgebers an baldiger Planungssicherheit Rechnung.

Das Bundesarbeitsgericht beschäftigte sich in der vorliegenden Entscheidung mit der Frage, ob eine solche Turboprämie in einem Sozialplan oder zumindest in einer den Sozialplan ergänzenden Betriebsvereinbarung zulässig vereinbart werden kann.

Nach der bislang ganz überwiegenden Auffassung in der Rechtssprechung dürfen Leistungen in Sozialplänen im Sinne von § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeit-nehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienen, nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. An dieser Auffassung hält das Bundesarbeitsgericht auch in der vorliegenden Entscheidung fest.

Die Unzulässigkeit einer Turboprämie innerhalb eines Sozialplans ergibt sich aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Er zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen.

Macht ein Sozialplan den Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zur Voraussetzung für den Anspruch auf die Sozialplanabfindung, erfolgt eine Gruppenbildung, welche die Anwendung des Gleichheitssatzes ermöglicht und gebietet. Die Arbeitnehmer welche nicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichten, werden hinsichtlich der Sozialplanabfindung schlechter behandelt als diejenigen, die von der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung absehen.

An dieser Rechtslage hat sich durch die am 1. Januar 2004 in Kraft getretene Vorschrift des § 1 a Abs. 1 KSchG nichts geändert. Die Regelung belegt zwar, dass nach den Wertungen des Gesetzgebers die Verknüpfung eines individuellen Abfindungsanspruchs mit der Nichtwahrnehmung des Klagerechts nach § 4 Satz 1 KSchG von der Rechtsordnung gebilligt wird. Aus ihr kann aber nach Auffassung des BAG für Sozialplanansprüche nichts hergeleitet werden.

Jedoch stellt das BAG fest, dass auch in dem Fall, wenn Sozialplanleistungen nicht vom Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden dürfen, den Betriebsparteien nicht jegliche Regelung verboten ist, durch die im Falle einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer ein finanzieller Anreiz geschaffen werden soll eine Kündigung zu akzeptieren.

Die so genannte Turboprämie kann also in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat gemäß § 88 BetrVG vereinbart werden. Eine solche freiwillige Betriebsvereinbarung wäre unabhängig von dem parallel hierzu abgeschlossenen Sozialplan. In diesem Fall würde auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verstoßen werden. Zwar käme es zu einer Gruppenbildung zwischen Arbeitnehmern, die auf die Erhe-bung einer Kündigungsschutzklage verzichten, und denjenigen, die dies nicht tun. Diese Gruppenbildung kann aber durch den verfolgten Regelungszweck gerechtfertigt sein.

Der Regelungszweck läge in diesem Fall in der raschen Bereinigung der mit dem Ausspruch von Kündigungen verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Unsicherheit und der Herstellung von Planungssicherheit. An einer solchen Planungssicherheit hat der Arbeitgeber – wie jetzt auch in § 1 a KSchG deutlich wird – ein anerkennenswertes Interesse.

Eine separat vereinbarte Turboprämie verstößt auch nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB, aufgrund dessen ein Arbeitnehmer nicht benachteiligt werden darf, weil er in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Gleiches würde für den Fall gelten, dass ein Arbeitnehmer Vorteile dafür erhält, dass er auf Rechte verzichtet. Das BAG hält allerdings diese Vorschrift nicht für verletzt, weil es nicht der Zweck des § 612 a BGB sei, gütliche Einigungen der Arbeitsvertragsparteien über Kündigungen zu verhindern. Dies werde auch aus § 1 a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 KSchG deutlich (BAG, Urteil vom 31. Mai 2005 – 1 AZR 245/04).

Praxistipp:

  • Wollen Sie als Arbeitgeber durch die Vereinbarung einer Turboprämie Planungssicherheit bei einem Personalabbau erzielen, sollten Sie diese auf keinen Fall in einem Sozialplan vereinbaren.
  • Es ist allerdings zulässig, eine Turboprämie in einer separaten freiwilligen Betriebsvereinbarung mit der Belegschaftsvertretung zu vereinbaren.
  • Mit dieser Konstruktion ist ausgeschlossen, dass ein Arbeitnehmer trotz Erhebung einer Kündigungsschutzklage die Zahlung der Turboprämie beanspruchen kann.
  • Bei der Turboprämie muss es sich allerdings um eine zusätzliche Leistung zur Sozialplanabfindung handeln.
  • Unzulässig wäre es, das Budget für die Turboprämie zunächst vom Budget für die Sozialplanabfindungen in Abzug zu bringen und anschließend in einer separaten Be-triebsvereinbarung auszuloben. In diesem Fall handelte es sich um eine unzulässige Umgehung des Verbotes, Sozialplanleistungen von einem Kündigungsverzicht abhängig zu machen.